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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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geringschätzig. »Lampe her!«
    Ich hielt die Taschenlampe und leuchtete, während wir an der Wand emporkletterten. Die unteren Löcher waren alle leer. Wir zogen uns weiter hinauf, bis der Lichtkreis das Dunkel in einer der oberen Zellen durchbrach. Vom ersten Augenblick an hatte ich einen Geruch wahrgenommen – weder angenehm noch unangenehm –, den ich nicht deuten konnte. Er roch irgendwie süßlich und gleichzeitig bitter, nach Moder, Verwesung und tiefer, feuchter alter Erde. Es war eigentlich kein unangenehmer Geruch. Ich empfand ihn eher als feierlich wie in einer luftschwangeren Kirche. Dieser Geruch verstärkte sich, wurde sehr intensiv. Er führte uns sozusagen, als wir höher stiegen, Stein über Stein, bis wir uns endlich auf den Rand der Nische setzen konnten.
    »Auch genug Licht?«, rief Peter, der von unten zusah, halblaut.
    »Reichlich.«
    Wir zogen vorsichtig den Kopf ein, leuchteten in die Zelle und fuhren erschrocken zurück. Neben einem Stein ragte der Schädel eines Menschen aus dem Geröll, schimmerte grellweiß im diffusen Licht, mit aufwärtsgerichteten Augenhöhlen. Daneben noch einige Fragmente, bleich und sauber wie Elfenbein, ein Teil der Wirbelsäule und ein gebrochener Schulterknochen. Solche Reste hatten wir schon früher gesehen, aber es waren immer kleinere Häufchen gewesen. Es war das erste
Mal, dass wir einen so gut erhaltenen Schädel fanden. Der Kiefer zeigte schöne, starke Zähne. Die Schneidezähne waren intakt, nur ein Backenzahn fehlte. Wir starrten auf den Schädel, und die tiefen, scharfen Augenschatten starrten zurück. In dem pechschwarzen Inneren schienen zwei Punkte zu glitzern; es war aber nur das Funkeln der Taschenlampe auf dem grellen Weiß der Knochen. Gleichzeitig fiel mir auf, dass sich unlängst Steine aus der Wand gelöst hatten. Es waren sogar ziemlich große dabei, die gebrochen herumlagen. Einige waren wohl aus der Zelle gesprungen, hatten Geröll abgetragen und die verschütteten Knochen freigelegt.
    Vivi war es, die sich als Erste bewegte. Sie machte ihren Hals eine Kleinigkeit länger, tastete mit den Fingern vorwärts und hob einige kleine Gegenstände aus dem Schutt: vereinzelte Kugeln aus grünlicher Keramik, die ursprünglich eine Halskette gebildet hatten, ein kupferner Ring, die Reste eines Armbands in Form einer Spirale. Während sie die Gegenstände mit sorgfältigen Gesten auf die Seite legte, merkte ich, dass die Taschenlampe in meiner Hand leicht zitterte. Es war eine Anspannung in mir, die mehr die Muskeln als den Geist ergriff. Ich fror, was mich verwunderte, da die Luft äußerst stickig war. Ich fragte mich, ob es die Erde war, die sich den Geruch der Knochen angeeignet hatte. Aber Knochen riechen doch nicht, dachte ich, auch wenn sie die Erde einschließt und bewahrt. Ich kam zu dem Schluss, dass das Gerippe mit dem Geruch nicht viel zu tun hatte.
    Giovanni kauerte neben mir und sagte kein Wort. Ob er den Geruch wohl auch roch? Ich hätte ihn gerne gefragt, aber die Frage kam mir zudringlich vor, unpassend. Das kräftige schwarze Haar fiel ihm tief in die Stirn. Sein Atem streifte mein Gesicht, vermischt mit seinem eigenen Geruch nach erhitzter Haut und Ginster. Ein warmer, lebendiger Geruch, der den anderen, den fremden, verdrängte und mir wohltat.
    »Seht ihr was?«, rief Peter von unten.

    »Ja, da liegt einer, der fast noch ganz ist«, rief ich mit gedämpfter Stimme zurück. Und da sagte Giovanni:
    »Eigentlich ist es eine Frau.«
    Das war behutsam, freundlich gesprochen. Trotzdem fuhr ich leicht zusammen, weil seine Stimme so dicht neben mir erklang. Ich war überrascht, weil ich nur die Knochen sah. Er aber schien sich den Menschen vorgestellt zu haben, der hier begraben war. Und der Schmuck deutete darauf hin, dass er recht hatte. Ich machte ein bejahendes Zeichen.
    »Sie muss jung gestorben sein.«
    Die Antwort kam von Vivi, wobei sich ihre Stimme wie ein leises Summen anhörte. Es war nicht ihre übliche Stimme.
    »Nicht ganz jung. Ungefähr so alt wie meine Mutter.«
    Ihr Gesicht mit den wirren Haaren erschien gespenstisch im Helldunkel. Die leicht vorgewölbten Augen wirkten noch größer, als sie sowieso schon waren, und sonderbar dunkel und matt.
    »Woher weißt du das so genau?«, fragte ich verblüfft.
    Sie nickte mir besserwisserisch zu.
    »Du, das kannst du mir glauben.«
    Was denkt sie denn jetzt wieder?, schoss es mir durch den Kopf. Es kam vor, dass Vivi unheimliche Dinge sagte oder tat, darauf waren wir immer

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