Mondtaenzerin
vor dem Steinblock in der Mitte. Da sitzt eine Frau auf einer Art Thron und redet. Ich kann nicht verstehen, was sie sagt. Sie redet eine komische Sprache. Klingt so wie Malti, aber anders …«
Unwillkürlich unterbrach ich sie. Es war wirklich denkbar, dass sie nur Theater spielte.
»Wie sieht die Frau denn aus?«
Vivi antwortete völlig sachlich.
»Sie hat einen dicken Busen. Sie trägt einen dunkelroten Rock, aus Ziegenfell, glaube ich, ein Armband und eine Halskette. Grüne Perlen. Und sie ist halb nackt.«
»Nackt?« Peter grinste. »Wenn sie dazu noch dick ist …«
»Mund halten!«, zischte ich.
Ich fühlte etwas von hinten herandrängen, wie die Luft des Himmels vor einem dieser afrikanischen Stürme, als ob Vivi in ihren Shorts und dem Ringelpulli einen Zauberstab über unseren Köpfen bewegte. Ich spürte eine Gänsehaut, und meine Nackenhaare richteten sich auf. Giovanni schien es auch zu spüren, stand einfach da, wie am Boden festgewachsen, sagte kein Wort und rührte sich auch nicht. Vivi indessen sprach weiter, in einer Art von konzentrierter Gespanntheit. Ihr Blick war vollkommen leer, als wäre sie selbst gar nicht präsent oder zumindest unsichtbar.
»Sie ist mit Spiralen bemalt. Rote Spiralen, überall, auf den Armen, auf der Brust. Auf dem Gesicht auch. Es könnten auch Tattoos sein, wie meine Mutter eines auf dem… dem Arsch trägt.« Vivi prustete, hielt sich die Hand vor den Mund. Wobei auch wir überdreht kicherten, außer Giovanni, der ernst blieb. »Aber bei der Frau sieht das schön aus«, fuhr Vivi fort. »Ihr Haar ist geflochten, mit einem Knoten im Nacken. Sie trägt ein Armband und die Kette, die wir da oben gefunden haben. Aber die Kugeln sind nicht verschmutzt, sondern schön glänzend.
Sie redet, alle hören zu, ich möchte so gerne wissen, was sie sagt! Warum redet sie bloß in dieser beschissenen Sprache? Doch, Augenblick mal, jetzt zeigt sie auf sich …« Vivi hob die Hand, als ob sie uns eine wichtige Mitteilung machte. »Sie sagt: Persea. Das muss ihr Name sein, sie wiederholt ihn immer wieder. Persea. Und… jetzt glaube ich plötzlich, dass ich sie verstehe. Seid doch mal einen Augenblick still! Was sagt sie? Ach so, ja, ja …«
Ihre Stimme plapperte einen langen, unverständlichen Satz, bis der röchelnde Atem die Worte erstickte. Vivi schien plötzlich zu erschlaffen, als ob sie innerlich zusammenfiel. Sie zitterte am ganzen Körper, ihre Zähne schlugen aufeinander. Peter hob sie hoch, sodass sie saß. Aus ihren Lippen, die eine leicht bläuliche Färbung hatten, quoll ein kleiner Tropfen Blut. Das war mir doch zu viel. Ich packte sie ziemlich unsanft und schüttelte sie, um sie wieder zu Verstand zu bringen.
»Schluss jetzt, Vivi, du tust dir ja weh!«
»Alessa, man darf nicht …«, begann Peter. Nein, man durfte sie in diesem Zustand nicht wecken, hatte man auch mir eingeschärft, aber ich ertrug es einfach nicht mehr. Ich schob meinen Arm unter Vivis Schultern. Nun öffnete sie ihre Augen, wobei sie sich mit dem Handrücken über die Lippen fuhr und das Blut verschmierte.
»Oh«, sagte sie in überraschtem Tonfall, »ich habe mir auf die Zunge gebissen.«
»Lass mal sehen!«
Peter neigte sein Gesicht zu ihr hin. Sie öffnete gehorsam den Mund. Ich hielt die Taschenlampe mit der freien Hand und leuchtete ihr ins Gesicht. Vivi kniff die Augen zusammen, stieß meine Hand auf die Seite.
»Weg damit, das blendet!«
Peter nickte mir zu.
»Nichts Schlimmes.«
»Was war denn eigentlich los?«, fragte Vivi.
»Du hast einen Anfall gehabt«, sagte ich.
»Ach so.« Vivi war noch ganz weiß im Gesicht, aber sie sprach jetzt wieder wie sonst. »Miranda sagt, dass ich dummes Zeug dabei rede. Habe ich dummes Zeug geredet?«
»Du hast von der Frau erzählt«, sagte ich vorsichtig.
»Welche Frau?«
»Die Tote da oben. Die mit dem Schmuck.«
Vivi sandte aus ihren Augenwinkeln einen schnellen Blick zu der Nische hin, bevor sie verwirrt den Kopf schüttelte.
»Keine Ahnung!«
»Du hast die Frau ganz genau beschrieben«, sagte ich. »Dass sie halb nackt war und überall Tattoos hatte.«
Vivi nickte plötzlich.
»Ja, auch im Gesicht.«
»Siehst du?«, rief ich. »Jetzt fällt es dir wieder ein. Du hast auch gewusst, wie sie hieß. Persea, hast du gesagt.«
Ein Schimmer von Erinnerung trat in Vivis Augen.
»Persea? Ja, kann sein. Klingt hübsch, finde ich.«
»Wenn du das erfunden hast …«, sagte Peter.
»Ich habe nichts erfunden!« Vivi wurde erneut
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