Monica Cantieni
musste. Sie war inzwischen so groß, dass Oskar sie beachtete. Mein Vater drehte sich nach meiner Mutter um.
– Das ist eine meiner Tomaten, die dort steht. Und warum? Weil du Frischluftfanatikerin bist. Weil du Frischluftfanatikerin bist, darf ich meine Tomaten im ganzen Quartier bewundern. Kann die Nase platt drücken an den Zäunen. Wer außer mir züchtet Ochsenherzen? Und dieses Mistvieh pisst an die Staude. Es ist ihm vollkommen einerlei, wo er hinpisst. Schau dir das an. Sie wird gelb, sie geht ein.
Wie auf Kommando tropften ein paar der grünen kleinen Tomaten zu Boden, und Oskar beschnüffelte sie neugierig.
– Ich fass es nicht. Oskar, aus!
Mein Vater schlug die Hände über dem Kopf zusammen und fiel wieder in den Klappstuhl zurück. Dass er nicht auseinanderbrach, war ein Wunder. Er schnauzte mich an:
– Was gibt’s zu glotzen? Hol mir ein Bier. Herrgott noch mal, nicht mal als Tomate kann man etwas werden in diesem Land! Kaum schaust du aus dem Boden, pisst dir einer ins Gesicht.
Oskar und die wilden Tomaten waren nicht das Einzige, was meinem Vater zu schaffen machte. Alles Mögliche wollte ihm ans Gemüse: zu viel Regen, zu viel Sonne, Raupen und Ameisen, Läuse und Schnecken. Auf den blauen Körnern, die er ihnen großzügig streute, krümmten sie sich, schäumten und schmolzen zu einem Brei, den der Regen wegwusch. Die Läuse vertrieb er mit einer stinkenden Brennnesselsuppe, in der nach zwei Wochen winzige Würmer zuckten. Damit überschüttete er auch Salatdiebe. Mit allem wurde er fertig, einzig Mehltau war nicht kleinzukriegen. Wir standen zu dritt im Garten.
– Gegen die Sonne kannst du angießen, am Morgen und am Abend. Den Regen kannst du verfluchen, irgendwann wird er schon aufhören, Wehe aber, wenn dann die Luft zu feucht bleibt: Mehltau. Und der bleibt.
– Schreibst du mir Mehltau auf?
– Wird Zeit, dass du richtig schreiben lernst.
– Wir hatten schon A bis D. Morgen malen wir E. Der Lehrer hat es versprochen.
Eli legte den Spaten bei mir an und machte mit einem Stein eine Kerbe im Griff. Toni wischte sich die Hände an seiner Hose ab und strich mir über den Kopf.
– Sie ist etwas klein für ihr Alter.
– Das sagen die vom Amt auch, ich geb nicht viel drauf. Haben die eine Ahnung von Gartenbau? Die wird schon noch wachsen.
Mein Vater machte die Bleistiftspitze nass und schrieb. Er schüttelte den Kopf.
– Gegen Mehltau ist einfach kein Kraut gewachsen. Außerdem wird der Zahn immer schlimmer.
An Schneewittchens Stall gelehnt, sperrte er seinen Mund auf und ließ sich hineinschauen.
– Welcher ist es?
– Es tun alle weh.
Toni stocherte mit dem Zeigefinger im Mund meines Vaters herum, bis er aufschrie.
– Lass mich los.
– Nelken. Du musst Nelken kauen.
MEHLTAU legte ich in die Wörterschachtel KRANKHEITEN, zu GRIPPE, KREBS, HIMMELELEND, ZAHNSCHMERZEN und LIEBESKUMMER.
NELKEN kam in die Schachtel BLUMEN, aber mein Vater schüttelte den Kopf. Er sagte: Sowohl als auch, und deutete auf die Schachtel GEWÜRZE. Er steckte sich welche in den Mund. Weil er nicht mehr schreiben mochte, lag NEL in BLUMEN und KEN in GEWÜRZE. Am Abend brachte er mir eine winzige neue Schachtel nur für NELKEN ans Bett. Er hatte sie bereits beschriftet.
– Was steht drauf?
– EINMALIG. Ob Toni auch ein Mittel gegen Mehltau hat?
Weil sie sich im Garten auf Italienisch so gut vertrugen, nahm mein Vater Toni mit nach Hause. Sie tauschten Gemüse. Meine Mutter ließ es so lange im Kühlschrank liegen, bis sie es herauswischen konnte. Sie konnte Toni nicht leiden. Auch er hat das Himmelelend, und meine Mutter war nicht scharf drauf, sie hatte ihr eigenes, und Oliven mochte sie schon gar nicht.
– Von dort?
Sie deutete auf das Glas, das er auf den Tisch gestellt hatte.
– Ja, von zu Hause. Der Brand hat nur zwei Bäume stehen lassen. Vom ganzen Wald nur diese zwei Bäume.
Das Glas in den Händen drehend, schaute er auf den Tisch und sagte, dass manchmal in ihm drin das Ausland ein einziger Abgrund ist. Meine Mutter nickte.
– Das Ausland kenn ich.
In diesen Dingen war sie Weltreisende. Meine Mutter hatte sich nach ihrem Tod auch schon aus der Dose in die Karibik streuen lassen, und Errol Flynn hatte Blumen geschickt.
Die Schweiz hat …
D IE SCHWEIZ HAT PLÄNE. Und eins war sicher: Eli durfte nicht mitmischen. Bloß Beton mischte er. Die Mauer, zu der Eli hochguckte, war grad in einer heiklen Phase, und sein Vorarbeiter war es auch: Eli musste sich sputen. Ungeduldig
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