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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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Empfehlung der gesamten Regierung. Da steht’s.
    Er fuchtelte mit der Zeitung, er tippte mit dem Finger auf Unterlagen, die die Schweiz in alle Haushalte geschickt hatte und die meine Mutter nicht lesen wollte.
    – Die machen so oder so, was sie wollen.
    – Das hoffe ich in diesem Fall.
    – Ich hab dazu nichts zu sagen. Ich kann ja noch nicht mal wählen gehen. Das ist die Demokratie, für die du dich so aufplusterst.
    Die Schweiz traut nicht allen. Sie ist wählerisch. Schon bei den Frauen fängt es an, hatte die Blondierte gesagt.
    Vom Tisch tropfte Gulaschsaft, in der Lampenschale lag Brot, auf der Glühbirne rauchten Nudeln, und meine Mutter begann, langsam die Wand zu wischen, während mein Vater sich den Kopf kratzte und zur Lampe hinaufsah.
    – Weshalb gibt’s eigentlich Nudeln zum Gulasch?
    – Weil die Kartoffeln aus sind.
    Es war eine Weile still, und meine Mutter zündete sich eine Zigarette an und schmiss den Putzlappen in eine Ecke.
    – Diese Demokratie kann mich mal.
    – Die Nudeln brennen gleich.
    – Dann hol sie runter. Und nimm auch gleich das Brot aus der Lampenschale.
    Den Stuhl in der Hand, stieg mein Vater auf den Tisch, schob mit dem Fuß zusammen, was dort noch herumstand, und kletterte auf den Stuhl.
    – Trotzdem: Was ist das für ein Land, in dem Schwarzenbach und Konsorten mit der Angst der Leute spielen, mit ihrer Angst ihr Geld mache n – und das nach so einem Krieg.
    – Als ob du den miterlebt hättest. Der Schuhmacher hat nicht geschossen. Hier hat niemand geschossen, keiner ist erschossen worden oder flog in die Luft, nichts ist kaputtgegangen, niemand musste fort von hier, jeder blieb zu Hause, keiner saß in Kellern fest, wenn’s überhaupt welche gab, in die man sich verkriechen konnte. Keiner ist irgendwo verhungert oder erfroren oder gestorben vor Angst.
    – Gott sei Dank! Und Tat, Tat hat bloß Schwein gehabt, weniger als Grüninger, das weißt du so gut wie ich. Am Zoll zu stehen und nachts Menschen und Waren über den Rhein aus Österreich in die Schweiz zu verschieben. Und gerade deshalb: Was ist das für ein Land, in dem Leute jenen zuklatschen, die mit Meinungen zündeln, denen außer Feuer im Dach nichts heilig ist und die dabei auch noch die Frechheit haben, das unsere Freiheit zu nennen?
    – Wir müssen zusammenhalten.
    – Ach ja? Was müssen wir denn zusammenhalten? Ich sag’s dir gern, was wir zusammenhalten müssen: ihr Geld. Sonst nichts. Dafür geben sie sogar die Demokratie her, dafür treten sie sie mit Füßen, weil sie ihnen im Grunde scheißegal ist.
    – Es sind viele Ausländer, musst du zugeben. Die wachsen uns noch mal über den Kopf.
    Mein Vater stellte das Glas langsam ab und wurde ganz leise.
    – So? Dass uns bloß Schwarzenbach und Schwarzenbachs nicht über den Kopf wachsen. Du müsstest es doch wissen. Du musstest doch fort aus Frankreich, weil Hitler es in Schutt und Asche legte, um es zu befreien.
    Mein Vater kehrte die Scherben zusammen, er stand auf und warf die Schaufel mit den Scherben an die Wand, allerdings an eine andere als die, die meine Mutter grade gewischt hatte. Er schrie, dass Überfremdung und Schwachsinn ein und dasselbe sind und dass ihm eins nicht in den Kopf will: warum er so einen Schwachsinn von einer halben Französin hören musste, und sie rechnete ihm vor, was ist, wenn unser Zoll umfällt und sich das Ausland in die Schweiz ergießt. Auch als Französin will sie das nicht, als halbe Französin, denn immerhin ist sie auch halbe Schweizerin. Und wenn es nach dem italienischen Essen ginge, müsste sie vor einem vollen Teller verhungern; deren Essen ist so lang, dass man es um die Gabel wickeln muss. Und sie könnte überhaupt verhungern, weil es keine Arbeit gibt für ihn, der zwei linke Hände hat, wenn’s ums Geld geht. Und dann die Sprache n – erst die Italiener und halb Jugoslawien, ein bisschen Türke i – und dann kommen die Chinesen, und wir essen Ćevapčići mit Stäbchen.
    – Außerdem: Du hast ja die Nazis mit Lebensmittelmarken in der Schweiz verschlafen. Ich will nichts gesagt haben: ist ja jetzt alles vorbei, endlich vorbei, und ich weiß wirklich, wovon ich rede . – Überfremdung ist nicht Schwachsinn, sondern Tatsache. Fängt hier schon im Stiegenhaus an. Riecht doch schon so.
    Überfremdung . Initiative . Abstimmung . Drei Wörter, ein Thema , keine Ansichtssache :
    – Überzeugung , sagt Eli.
    Sein Seufzer ist länger als der Fluss, an dem wir wohnen.

Wir gingen oft …
    W IR GINGEN

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