Monica Cantieni
schlotterten im Wind, sagte er, und hier passen die Rechnungen kaum durch den Postkastenschlitz. Toni war auch ein Habenichts, sagte mein Vater. Wie wir. Fast. Bei dem gibt’s nichts zu holen, sagte der Postbote. Der gießt am Morgen Plastik in Förmchen und prüft sie am Nachmittag auf Herz und Nieren. Am Abend aber ging Toni manchmal in eine andere Fabrik, wo er eine dicke Brille, mehrere Schichten Kleider, Handschuhe und eine Schürze trug und mit einer Zange alles, was man ihm brachte, in eine Wanne tauchte musste.
– Was drin ist, weiß ich nicht, sagte Toni, es löst Fett, sagen sie, und macht Löcher in die Kleider, aber es bringt gutes Geld. Ist gar nicht mal schlecht, die Verzinkerei. Eine gute Fabrik. Gute Leute. Meine Leute. Viele von uns.
Einmal war ihm etwas von der Zange gefallen, es spritzte, und seine Kleider sahen hinterher aus, als hätte Old Shatterhand seinen Bärentöter mindestens zehnmal auf ihn abgefeuert. Meine Mutter war völlig aus dem Häuschen gewesen deshalb.
– Das ist ja lebensgefährlich, furchtbar. Du musst aufhören damit.
Dabei streichelte sie die Stofffetzen wie Schneewittchens Fell. Das hätte mir mal passieren müssen. Beim kleinsten Loch in der Hose machte sie einen Aufstand, und sie drohte mir an, mir die Wörterschachteln wegzusperren für eine Woche. Wenn ich erst Filmstar war, wollte ich mir für gutes Geld die Kleider zerlöchern lassen. Auch das nahm ich mir vor.
– Mit Toni ist etwas nicht in Ordnung, sagte mein Vater.
– Er ist Italiener, sagte meine Mutter.
Als er mit Eli beim Hasenstall ein Bier trank, wunderte er sich immer noch darüber, was sie geantwortet hatte, aber er freute sich über etwas, das er ihren Sinneswandel nannte. Eli sagte, dass die Abstimmung grade noch mal gut ausgegangen ist. 54 zu 46: in Prozenten ein knappes Resultat.
– Was ist Sinneswandel ?
– Das musst du noch nicht wissen.
– Nun sei nicht so.
Eli stieß meinen Vater in die Seite.
– Eli, was ist Prozente ? Schreibst du’s mir auf?
Er schrieb: Prozente , und mein Vater öffnete noch eine Flasche Bier, auch die mit Prozenten drin, wie er sagte. Eli lud meinen Vater zu so viel Prozenten ein, dass er wieder auf dem Sofa schlafen musste und meine Mutter sich lange nicht beruhigen konnte. Bestimmt war der Haussegen wieder bis auf die Straße zu hören.
Ich legte PROZENTE auf den Tisch. Ob in Abstimmungen oder in Bier: Sie machten Probleme. Eine Wörterschachtel PROBLEME wollte mein Vater auf keinen Fall haben. Sie hätte allerhöchstens in der Werkstatt oder in der Garage Platz gehabt, und anschauen mochte er sie erst recht nicht immer.
Vier Orangen waren …
V IER ORANGEN WAREN VERFAULT, ohne dass wir in den Zoo gegangen waren. Jede hatte meine Mutter weggeworfen, wenn sie rochen und die Fliegen drauf saßen. Gerade wegen Ruth und Walter machten sich verfaulte Orangen nicht gut. Muffige Luft, Fliegen und Fliegenscheiße waren ganz schlecht, und den allerschlechtesten Eindruck machte mit Sicherheit ein Himmelelend, wie es meine Mutter grade hatte. Sie brach ohne Grund in Tränen aus. Ich dachte an Fast-ohne-Federn, brach auch in Tränen aus, und mein Vater schlug die Hände über dem Kopf zusammen, knallte mit den Türen wie vor einer Abstimmung und ging in den Garten. Es war still.
– Können wir nicht zu Fast-ohne-Federn gehen und zum Baum mit der schönsten Aussicht?
Nichts.
– Kann ich die Vorhänge aufziehen?
Nichts.
– Möchtest du deine Tabletten?
Mein Vater ließ draußen den Rasenmäher anspringen. Ich holte die Taschenlampe und nahm mir die Fingerabdrücke im Malkasten. Eli hatte gesagt, dass sie eine Person eindeutig beweisen und dass die Polizei darauf schwört. Meine Mutter hörte Oskar eine Stunde lang zu, wie er den Rasenmäher meines Vaters anbellte, und erst als der Postbote nicht aufhörte zu klingeln, gab sie sich einen Ruck.
Auf dem Klo ist es ruhig. Man kann ungestört seinen Gedanken nachgehen. Ich stellte mich vor die Tür, um meiner Mutter ein wenig dabei zu helfen.
– Was machst du?
– Ich mach mich frisch.
Als sie herauskam, war sie wie ausgewechselt. Sie riss die Vorhänge und Fenster auf.
– Meine Güte, wie stickig es hier ist.
Sie roch nach Blumen, trank ein Glas Wasser und drehte sich nach mir um.
– Und wie siehst du denn aus?
Sie machte den Kamm nass und kämmte mir das Haar glatt.
– Zieh dich an.
– Wohin gehen wir?
– In den Zoo. Ich bring dich hin und hol dich wieder ab. In Ordnung?
Ich nickte. Den Brief,
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