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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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OFT IN der Stadt spazieren, besonders am Sonntag, wenn mein Vater uns zum Bummeln ausführte, weil das billig war. Meine Mutter ging mit mir auch allein in der Stadt spazieren. Sie sagte, dass mir das gut tut. Obwohl ich davon nichts mitbekam, vertraute ich ihr, da mir meine Gefühlswelt noch nicht erschlossen war, wie sie mir in einem Gespräch von Frau zu Frau erklärte. Manchmal besuchten wir den größten Baum mit der besten Aussicht und gingen danach in den kleinen Zoo zu Fast-ohne-Federn, er brauchte regelmäßig seine Orange. Wegen der Vitamine.
    Seit einiger Zeit erzählte meine Mutter jedoch nicht mehr viel während der Spaziergänge. Beim Bummeln starrte sie in die Luft und schaute sich die Auslagen in den Schaufenstern nicht an. Dreimal schon hatte ich ihr das rote Fahrrad gezeigt, das ich mir so sehr wünschte, und dreimal sah sie es sich an, als hätte sie es noch nie gesehen. Auf der Bank mit der besten Aussicht breitete meine Mutter die kleine Decke aus und setzte sich in ihrem schönsten geblümten Kleid hin. Die Butterbrote packte sie noch nicht einmal aus.
    – Mir fällt nichts ein.
    Dann schaute sie in die Sonne, ohne zu blinzeln. Ihre Sonnenbrille hatte sie vergessen. Ich machte mir von Frau zu Frau Sorgen um sie, ich wurde unruhig, und unruhig zu werden bedeutete für mich immer Ärger, weil ich bestimmt bald darauf Probleme machte, die bei andern Kindern genäht werden mussten. Dass wir danach überhaupt zum kleinen Zoo gingen, war ein Wunder. Ich hatte ihr deswegen meine schönsten Augen gemacht. Schon zwei Wochen musste Fast-ohne-Federn auf seine Orange warten, er war bestimmt schon ganz ohne Vitamine, Ruth hätte die Brauen hochgezogen, und Walter hätte den Bleistift nass gemacht und es aufgeschrieben.
    In der hintersten Ecke seines Käfigs machte sich Fast-ohne-Federn an seiner letzten Schwanzfeder zu schaffen. Ich schälte ihm die Orange und hielt sie ihm hin. Es dauerte eine ganze Weile, bis er zu den Gitterstäben kam und nach dem Schnitz griff. Er kleckerte mit Saft, sträubte die wenigen Federn im Nacken, ließ sich kraulen und pfiff so laut, dass der Wärter kam und grinste.
    – Gab’s Eis?
    Fast-ohne-Federn und ich hätten uns eine Menge zu erzählen gehabt, wenn meine Mutter nicht so ungeduldig gewesen wäre. Als hätte sie etwas gestochen, ging sie vor der Voliere auf und ab und kramte in ihrer Handtasche.
    – Lass uns noch auf einen Sprung zu Toni gehen. Wo hab ich nur meine Hausschlüssel?
    – Ich hab sie.
    – Gib sie mir. Da ist der Schlüssel von Tonis Wohnung auch grad mit dran.
    – Du hast einen Schlüssel von Tonis Wohnung?
    – Wegen der Blumen.
    – Hat Toni Blumen?
    – Komm jetzt. Milch müssen wir auch noch holen.
    – Hab ich doch gestern. Hast du mir gestern gesagt. Heut ist Sonntag.
    – Dann lass uns zu Toni gehen.
    Der Wärter klopfte mir auf die Schultern.
    – Geh nur. Ich schau nach ihm.
    Er machte ein paar Knackslaute, streckte einen Finger in den Käfig und nickte meiner Mutter zu. Fast-ohne-Federn fing an zu schnurren wie eine Katze, und als ihn meine Mutter fragend anschaute, zuckte der Wärter mit den Schultern.
    – Das hat er von Queequeg, einem Kater, den wir im Nachbargehege einquartiert hatten für ein paar Monate. Ist Jahre her. Wurde unten am Fluss angeschwemmt. Völlig verhungert und verwahrlost. Total verschreckt. Hatte Krallen wie ein Großer. Wir haben ihn aufgepäppelt. Seither schnurrt der Vogel.
    – Wie heißt er eigentlich?
    – Seit damals? Ismael. Und vorhe r – keine Ahnung. So lange bin ich noch nicht hier.
    Toni konnte nur Spaghetti, Salat und belegte Brote, aber seine Spaghetti waren die besten, und er schmierte die Brote, auf denen er so viel Fleisch, Käse, Tomaten, Gurken, eingelegtes Gemüse und Oliven stapelte, bis es unmöglich war, sie in den Mund zu kriegen.
    Diesmal stellte er Sonnenblumenkerne und einen Krug Wasser auf den Tisch und brachte aus dem Schlafzimmer einen dicken Stapel Bücher.
    – Fotos von zu Hause.
    Wir setzten uns auf das Sofa. Links meine Mutter, rechts Toni und ich dazwischen, ein Fotoalbum auf den Knien. Ich durfte seine dunkelbraunen Locken anfassen, und er trug wie jeden Sonntag sein hellblaues Hemd, mit dem er aussah wie ein Filmstar. Er erklärte die Fotos in einem Deutsch, das ich nicht gut verstand. Dejan und Mirela redeten nicht so, Eli auch nicht, nur dass der manchmal mit den Händen in den Taschen wühlte, wenn er ein Wort nicht fand. Die Ecken des Albums waren rissig, und die Fotos

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