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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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mit dem sich meine Mutter frisch gemacht hatte, steckte sie sich in die Tasche.
    – Wartest du schon lange?
    Der Wärter rührte sich nicht von der Stelle.
    – Wo ist deine Mutter?
    Den Nacken an die Gitterstäbe gepresst, knackte, tickerte und schnurrte Fast-ohne-Federn ohne Unterlass. Er streckte mir einen Fuß entgegen und griff nach meinem Finger.
    – Das ist doch deine Mutter, mit der du immer kommst .
    Er machte eine Pause.
    – Redest du nicht mehr mit mir? Geht es ihr gut?
    – Sie ist in Ordnung.
    – Wir schließen gleich.
    – Sie ist auf dem Klo. Sie kommt mich hier holen.
    – Da ist niemand. Ich war grad da.
    – Sie ist nicht auf dem Männerklo.
    – Wir kontrollieren beide, wenn wir schließen. Da ist niemand. Es ist schon fast dunkel.
    Tatsächlich. Fast dunkel. Die Lichter waren an. Da und dort quietschten Türen, sonst war es ruhig.
    – Kommst du mit?
    – Ich darf nirgendwohin mitgehen. Sie holt mich hier ab.
    – Komm jetzt, ich bring dich nach Hause.
    Er nahm mich bei der Hand und führte mich am Kassenhäuschen vorbei. Ein anderer Wärter verschloss das Gitter zum Zoo und tippte mit dem Finger an den Hut. In dem großen Zimmer, in das er mich brachte, zündete sich ein dicker Mann eine Pfeife an, er sah Walter ein bisschen ähnlich, trank als Erstes ein Glas Wasser leer, goss nach und musterte mich von oben bis unten.
    – Wie heißt du denn?
    Eine riesige Rauchwolke schwebte an mir vorbei, der Mann schaukelte in seinem Sessel vor und zurück.
    – Wo wohnst du?
    Das Leder knirschte, es war eine Weile still, dann sagte er durch den Qualm:
    – Na schön. Ich heiße Doktor Gábor. Du kannst mich Gabesz nennen. Ismael gefällt dir gut, höre ich.– Nun sag schon, wo gehörst du denn hin?
    Nicht einmal Ruth und Walter hätten ihm das sagen können, noch schrieben sie an meiner Akte. Der Mann kraulte seinen Arm.
    – Wen soll ich denn nun anrufen?
    Auch die Chefin kraulte ihren Arm, sie kraulte uns im Haar, sie kraulte ihren Hund, sie kraulte lebendige Kaninchen im Fell und die toten, bevor Helene ihnen das Fell abzog; sogar den Fischen strich sie über die Haut, bevor Helene sie aus dem Eimer holte, um ihnen eins überzuziehen.
    – Wen soll ich jetzt anrufen?
    – Die Chefin.
    – Die Chefin. Fein. Und wo kann ich sie finden?
    Ich nannte ihm die Adresse.
    – Ach, von dort bist du. Du bist also ausgebüxt.
    Auf der Straße parkten Autos, der Bus hielt und fuhr an, ein Lastwagen drehte an der Bushaltestelle, in meinem Zimmer wanderte das Licht an den Wänden. In der Ecke schimmerte mein Koffer. Er war nicht einmal halb so groß wie der von Toni.
    – Tausend Tode, sagte Eli. Manchmal stirbt man tausend Tode.
    Ich machte die Augen zu. Es half nicht. Farbe kleckste ins Schwarz, ich konnte nicht nichts sehen.
    Mein Vater zog mir die Decke vom Gesicht. Seine Nase war schneeweiß.
    – Ihr habt euch gestritten.
    – Es ist alles gut.
    – Wo ist Toni?
    – Oben. Oben natürlich.
    – Wo ist sie?
    – Nebenan.
    – Will sie mich nicht mehr haben? Muss ich zurück?
    – Wohin zurück?
    – Zur Chefin.
    – Wie kommst du auf so etwas? Sie hat sich sehr gewundert über den Anruf.
    – Weshalb hat sie mich so lange warten lassen?
    Ich deutete nach nebenan. Er schnalzte mit der Zunge. Es dauerte ewig, bis er damit herausrückte.
    – Das hat sie gesagt?
    – Ja.
    – Sie hat mich verlegt?
    – So etwas in der Art. Besonders wertvolle Dinge versteckt sie gut. So gut, dass sogar sie nicht mehr weiß, wo sie sind.
    – Warum?
    – Dort sind sie sicher.
    – Tausend Tode, sagt Eli. Manchmal stirbt man tausend Tode.
    Tränen, viele Tränen: Lágrimas. Auch Eli schenkt mir Wörter. Muchas lágrimas ins Kissen, und er kommt bestimmt, der Schlaf, el sueño. Ich warte.

Aus allen Schachteln …
    A US ALLEN SCHACHTELN QUOLLEN Wörter, sie flogen durchs Zimmer, wenn meine Mutter die Fenster aufmachte. Ihr waren sie ein Dorn im Auge. Sie drohte, alle Wörter und Schachteln wegzuwerfen, wenn ich nicht aufräumen würde; auch die in Dosen, die sich auf dem Fensterbrett stapelten, winterharte Wörter. Tat nannte sie so. Die aus früher Kindheit, sie halten alles aus.
    Aber ich konnte nicht aufräumen. Ständig wechselten die Wörter die Schachteln, von FRÜHER zu JETZT und von JETZT zu FRÜHER, von FRÜHER zu SPÄTER, und SPÄTER wird immer mehr und FRÜHER auch, dafür ging mir das JETZT aus, und es gab Wörter, die nirgendwohin gehörten, nicht einmal in den Mund. Ich ging allen auf die Nerven, und dabei war bei mir

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