Monica Cantieni
es kein Gold gibt. Das gibt es nur in den großen Farbstiftschachteln, und die kommen für uns nicht in Frage, weil Gold und Silber geklaut würden, die Großen würden sie eintauschen gegen Zigaretten. Gelb und Braun geben nun einmal kein Gold, bloß eine Soße auf dem Blatt, die Tür geht auf, und die Chefin kommt herein, klatscht in die Hände und ruft:
– In einer Stunde gibt es Kuchen. Treffpunkt Küche. Ruft die andern.
Die Chefin gibt uns immer eine Stunde Zeit, damit wir wie Menschen aussehen können, damit wir ihr unter die Augen treten können, damit Braun und Gelb von den Händen abgeht, Kaugummi aus den Haaren entfernt werden kann, Dreckränder von überall, damit aufgekratzte Schürfwunden verpflastert werden können, damit sie etwas zu sehen bekommt, das gut riecht, das Bügelfalten hat und eine Hand gibt, von der sie sich nicht gleich eine böse Krankheit holt. Und dann das: Ich falle fast der Länge nach hin, und nicht nur ich, denn auf dem Tisch stehen Kuchen, die alles schlagen, was Helene je gebacken hat, nicht einmal am runden Geburtstag der Chefin hat es so etwas gegeben. Rosa Torten, weiß oder voller Schokolade, mit Smarties oder Karotten aus Marzipan, und Martin schreit, genau so, genau so haben sie ausgesehen, als sie noch einmal geheiratet haben, und ihr habt mir nie geglaubt, drei Stockwerke hoch Schlagsahne, und ihr habt mir nie geglaubt, dass es das gibt, jetzt schaut euch das an.
Die Chefin will, dass wir den Mund halten, und sagt, wir haben sie geschenkt bekommen, von jemandem, den wir nicht kennen würden, wir können uns nicht einmal bedanken beim Spender.
Endlich müssen wir glauben, dass es so etwas gibt, Martin kann sich nicht beruhigen, er genießt den Triumph, sagt, das hier, das ist enorm, gar nicht mal schlecht in Tat und Wahrheit, wirklich ganz nett, aber immer noch kein Vergleich zu den Hochzeitstorten seiner Eltern, und während wir die Servietten umbinden und uns in die Schlange stellen, wachsen die Kuchenberge in die Höhe, die es bei der zweiten Hochzeit seiner Eltern gegeben hat, sie berühren schon die Decke und für die größte müssen seine Eltern eine Leiter nehmen. Der kurze Donelli sagt zu Recht, ach komm, die hätten auf keine Leiter mehr gekonnt, die waren nach der ersten Stunde schon zu besoffen.
Jetzt geht es bestimmt wieder los, dass Martin das Fest ruiniert, den Kuchen herumwirft, statt ihn zu essen, sich wieder etwas greift und zuschlägt und wir alle raus müssen, raus wollen, trotz des Kuchens nur wegwollen, aber er sagt kein Wort, stellt sich einfach an und noch einmal und nimmt sich dann selbst, isst, bis er gelb wird und dann weiß und aus der Küche stürzt und die Chefin nach ihm sehen muss.
Es wurde ernster, als wir dachten. Sie holte den Arzt. Als er das erste Mal wieder allein aufs Klo gehen konnte, machte er vor uns in die Hose. Aus seinem Pyjama rann eine braune Brühe, die bis in die Küche stank. Wir hielten uns die Nase zu. Keiner fasste ihn an, klapperdürr und zugeschissen, wie er auf den Kacheln lag. Wir taten nichts, um ihn aufzuhalten oder ihm aufzuhelfen, wir ließen ihn kriechen, standen um ihn herum im immer selben Abstand, folgten ihm, kniffen einander und hielten die Luft an, als er sich an einer Türklinke aufzurichten versuchte. Kichernd sahen wir zu, wie er immer wieder einknickte, während sich Hose und Unterhemd verfärbten und er auf dem Boden in Richtung Klo kroch und eine Spur hinterließ, die wir flüsternd kommentierten.
Es war die Stille, die die Chefin anlockte. Sie gab dem Erstbesten eine Ohrfeige, schüttelte den Kopf, sagte, wir sollten uns zusammenreißen, das hier wäre bloß eine Naturkatastrophe, wir sollten machen, dass wir wegkommen. Einen Namen zu kriegen, der dem nicht ähnlich ist, auf den man getauft war, dauerte nicht lange; umso länger, ihn wieder loszuwerden. Später tauften die Kleinen ihn Ladenhüter und wurden dafür verprügelt. Für mich blieb er Naturkatastrophe.
Er schlug nicht bloß mit der flachen Hand zu oder mit der Faust, nein, er füllte den kleinen Jutesack mit Sand, den wir am sechsten Dezember bekommen hatten, und drosch auf uns ein, bis wir kotzten, er spickte Schneebälle mit Steinen, tauchte sie in Wasser ein und ließ sie über Nacht vor dem Fensterbrett liegen. Anderntags wog er sie in der Hand und sah uns nach, machte sich einen Sport daraus, lange zuzuwarten, bis er warf. Er schlug alle, er tunkte jeden ins Klo, das er verstopfte und volllaufen ließ. Er konnte so wütend
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