Monica Cantieni
geht, dass man sich einfach treiben lassen kann am Strand und in der Sonne, wollte er sich bestätigen lassen, er schaute Eli fragend an. Eli schüttelte den Kopf.
– Aber es kommt in Mode.
– Für Mode haben wir kein Geld.
Mein Vater steckte den Löffel in den Käse und zog ihn behutsam heraus. Er konnte die längsten Käsefäden ziehen. Wenn er gewollt hätte, hätte er die Weltmeisterschaft im Käsefadenziehen gewinnen können.
– Was ist eigentlich los mit dir?
Dass meine Mutter Eli anfuhr, war nichts Besonderes. Dass sie gleich einen Lappen hinterherwarf, schon. Selbst mein Vater würde jetzt angestrengter über Mode nachdenken.
Aber Eli hob den Lappen bloß auf, nahm seine Mütze und ging hinaus.
In letzter Zeit war nicht viel mit ihm anzufangen. Das lag an der ÜBERFREMDUNG. Toni war grade so durchgegangen bei der ABSTIMMUNG. Er durfte erst einmal hierbleiben, wenn er aus Italien zurück war, seine Plastikförmchen kamen gut an in der Fabrik, und was er in manchen Nächten machte, wusste keiner außer der Verzinkerei, und die hielt dicht. Auch Madame Jelisaweta war kein Problem mehr für die Schweiz. Bloß Eli war hier nicht sicher. Dejan und Mirela hatten versprochen, ihn im Keller des Restaurants zum Käse zu legen und zum Bier, wenn es brenzlig werden würde.
Eli konnte die ÜBERFREMDUNG mit Haut und Haar spüren. Es war nicht so, dass es die seit der ABSTIMMUNG nicht mehr gab, sagten seine Kumpel. Die Ausländerpolizei saß Eli im Nacken, sagten sie, damit sie etwas von der ÜBERFREMDUNG abtragen und dahin zurückschicken konnte, von wo sie gekommen war. Immer öfter stellte sie die Baustellen auf den Kopf, wollte Bewilligungen sehen, Eli machte das ganz nervös.
Ich lief ihm hinterher, wusste ich doch, er würde zu Schneewittchens Stall gehen, der einzige vernünftige Ort nebst dem Klo, wo man in Ruhe seinen Gedanken nachgehen konnte. Ich holte ihn ein, als er sich hinsetzte.
– Worüber denkst du nach?
– Ich denke nicht nach.
– Und was machst du?
– Ich warte.
– Worauf?
– Dass nichts passiert.
– Darauf kann man nicht warten.
– Ich schon. Warten, dass nichts geschieht, was es noch schlimmer macht. Darauf kann man allerdings warten. Oder man muss. Hijos de puta! Hurensöhne!
Ist man nicht stärker als die, die man so nennt, sollte man die Finger von HIJOS DE PUTA lassen. Eli benutzte es nur für Ausnahmefälle wie den Hausmeister, für die Ausländerpolizei und für einen Herrn Franco, den in Spanien alle Welt kannte, aber noch nicht mal er sagte es laut. Es lag in der Wörterschachtel STRENG GEHEIM, zusammen mit mindestens hundert weiteren Hausmeister- und Ausländerpolizeinamen aus Spanien, Italien und Jugoslawien.
Er setzte sich hin und trat gegen die Kiste mit Hasenfutter. Zwei Schrauben und sein Türschild zu seinem Zimmer lagen in seiner Hand. Der ellenlange Name füllte drei Zeilen. Den Eimer mit seinem Werkzeug stellte er neben Schneewittchens Futtersack.
– Ich kann nicht zurück.
– Auf die Baustelle?
– Nach Salamanca. Nach Spanien. Irgendwohin.
– Musst du?
– Die Polizei möchte, dass ich zurückgehe. Ich bin Saisonarbeiter.
– Was ist ein Saisonarbeiter ?
– Weißt du doch. Wie Toni. Ein Saisonarbeiter arbeitet neun Monate bei euch.
– Du arbeitest doch immer bei uns.
– Stimmt, ich bin noch zwanzig Prozent Schwarzarbeiter. Zudem: Ich war Saisonarbeiter.
– Was heißt Schwarzarbeiter ?
– Dass das Kontingent aus ist.
– Und was heißt Kontingent ?
– Das heißt, ich bin jetzt hundert Prozent Schwarzarbeiter.
– Und was heißt das?
– Heißt: Ich habe keine Papiere mehr. Nichts. Nada. ¡Coño! Scheiße!
– Warum hast du keine?
– Ich hab die falschen. Es sind spanische.
– Ich hab auch die falschen. Ich krieg erst die richtigen, wenn ich fertig adoptiert bin.
– Bei mir ist das nicht so einfach.
– Du musst dich vermitteln lassen.
– An wen denn?
– An Eltern.
– Ich habe Eltern.
– Und?
– Sie sind tot.
– Wir könnten meine künstlichen teilen. Du hast Gastfreundschaft fast bis in den Tod, sagt mein Vater.
Eli seufzte. Er polierte das Türschild mit einem Zipfel seines Pullovers und zog einen Schraubenzieher aus der Hosentasche.
– Wieso hast du es abgeschraubt?
– Ich muss vorsichtig sein.
– Du könntest einen andern Namen annehmen. Wenn ich fertig adoptiert bin, habe ich einen neuen Namen. Wir müssen auch vorsichtig sein. Wegen der Originaleltern. Sie könnten auf dumme Ideen kommen und
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