Monica Cantieni
Metzger, dass ich Otto erschieße, aber ich konnte es nicht. Ich brachte ihm Otto und dachte, wir könnten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Es gab nicht viel Fleisch damals.
Meine Mutter stellte den Kaffee vor Tat hin, und Tat nickte und wartete, bis sie wieder aus der Tür war. Er kippte etwas Kaffee in die Untertasse und kleckerte seine Hose und die Wolljacke voll.
– Und dann? Erzähl weiter.
– Dann brachte mir der Metzger einen Braten und zwei Keulen, Streifen zartes Fleisch.
– Einfach so?
– Natürlich nicht. Otto brachte er. Miarda! Otto in Portionen. Otto fachgerecht vom Metzger. Die Tatta hat ihn versalzen mit ihren Tränen. Er roch gut, und je besser er roch, desto mehr von uns fingen an, am Tisch zu heulen, dein Vater am lautesten. Die Tatta weigerte sich, den Braten aus dem Ofen zu holen, und als das schwarze Ding schließlich vor uns stand, kotzte dein Vater in den Teller, so wahr ich hier sitze. Ich wollte aber, dass sie ihn essen. Schließlich stand er auf dem Tisch.
– Und dann?
– Die Tatta wollte, dass ich anfange.
– Und?
– Ich habe Otto aus dem Fenster geworfen. In den Garten.
– Und dann?
– Nichts ›und dann‹. Wir aßen nicht. Gar nichts aßen wir an dem Tag. Es war ein Dienstag, ich weiß es noch genau. Wie lange mir dein Vater böse war deswegen, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, es hält an bis heute.
Drei Uhren schnarrten an den Wänden, Ketten rasselten, drei Kuckucke schossen hintereinander heraus und schrien, die Tannzapfen an den Ketten schaukelten. Ich hätte immer schon gern einen gehabt. Tat rückte aber keinen einzigen heraus. Sie schienen an der Uhr so wichtig zu sein wie die Luftblase in Elis Wasserwaage. Tat sah eine Weile zum Fenster hinaus und massierte seinen Stumpf.
– Es ist der rechte. Es ist immer der rechte.
– Was?
– Der rechte Fuß ist es, der wehtut. Der brennt. Wie Feuer.
– Der aus Plastik?
– Nein, natürlich der andere.
– Der, der nicht mehr ist?
– Welcher sonst, Grünschnabel?
Tat schlürfte den kalten Kaffee aus der Untertasse, rieb das Verschüttete in die Wolljacke.
– Wir bekommen noch mehr Schnee.
– Ich will Schneewittchen nicht essen und Oskar auch nicht.
– Wer ist Oskar?
– Du kennst ihn.
– Ach ja?
– Unser Nachbarhund. Oskar hat auch schlechte Eigenschaften.
– Welche denn?
– Er furzt entsetzlich laut und pinkelt allen ans Bein.
Tat lachte, dass ihm die Zähne aus dem Mund fielen. Ich musste sie aufheben und abspülen, und bevor ich sie ihm wiedergab, ließ ich ihn schwören, dass er nichts sagte, dass er sich nicht einmal versprechen durfte, bei niemandem, nie, dass er so verschwiegen sein musste wie Schneewittchen bei dem, was ich ihm gleich erzählen wollte.
Tat war ganz Ohr.
– TAT WEISS ES, SAGTE ich zu Schneewittchen. Tat weiß alles. Er weiß sogar, dass Mili erst nicht mal aufs Klo durfte, wenn Toni arbeiten war, weil man die Spülung durchs ganze Haus hören kann. Anfangs musste sie auf den Topf. Bis sie sich daran gewöhnt hatte, ein Geheimnis zu sein. Eins, das eine tickende Bombe ist, sagt sie, sagt Toni; eins, das deshalb leise sein muss, schleichen muss, nicht laut lachen darf, nicht rufen, schon gar nicht schreien, kein Licht machen darf und notfalls im Dunkeln essen muss. Tat war schwer beeindruckt davon. Er sagte, das ist wie im Krieg. Und dass die von der Ausländerpolizei Sesselfurzer sind, ist ihm schon länger bekannt, als ich auf der Welt bin, sagt er. Seit dem Krieg. Seiner Meinung nach können die noch mehr anrichten als jede Versicherung, und das will was heißen, wenn Tat das sag t – weißt du eigentlich, wie lange das jetzt dauert, die auseinanderzuklauben? Und hier ist alles nass.
Köttel und Körner lagen gemischt im ganzen Stall verteilt. Ich hatte Schneewittchen eine ordentliche Portion Futter hineingestellt, und mein Vater hatte eine Leitung gezogen, von der Schneewittchen Wasser nuckeln konnte. Er wollte das Risiko nicht eingehen, dass jemand an Elis Briefkasten ging, auch wenn er von einem Hasen bewacht wurde.
– Tat weiß auch, dass Milis Großmutter aufgefressen wurde, aber dass es ein Tier gewesen ist, glaubt er nicht. Krebs, sagt er, ist eine Krankheit. Und er will wissen, wo Eli ist. Im Treppenhaus wird getuschelt, sage ich ihm. Weißt du’s, Schneewittchen?
Wir feierten Weihnachten mit acht Sorten Keksen.
Brunsli.
Mailänderli.
Chräbeli.
Zimtsterne.
Und vier, die nicht gelangen.
Meine Mutter war am Ende, mein Vater erledigt. Seit
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