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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grünschnabel
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krabbelten und Schimmel saß, sie blätterte die ungeöffneten Briefe durch, sogar einer der Versicherung war dabei, und mein Vater setzte sich zu Tat ans Bett.
    – Weshalb liest du die Post nicht?
    Er legte das halbfertige Schiffchen weg.
    – Siehst du, auch die Brille haben sie mitgenommen, sogar die Brille, man muss es sich vorstellen. Grascha putana, wie soll einer da klaren Blickes über den Jordan gehen!
    Die Brille fand ich anderntags in seiner Hose, wo er sie statt der Brieftasche hingesteckt haben musste, er hatte sie in Stücke gesessen, es hatte ihn auch gezwickt am Hintern, aber in seinem Alter, sagte er, tut es an jedem Tag woanders weh, man darf das nicht so ernst nehmen, sonst wird man verrückt.
    – Was sagst du zu dem Schiffchen?
    Wir blieben länger als eine Nacht. Tagelang schichtete mein Vater Holz, trug es von hier nach da, weil das Da näher beim Haus lag als das Hier, und Tat beschwerte sich mit dem Stock in der Hand, stocherte damit im Schnee, das Da war ihm auch nicht recht, war nicht gut zu erreichen, nicht mit solchen Beinen, nicht bei so einem Wetter, nicht ohne die Nachbarin, nicht ohne Sepp, der Hilfe holen konnte, wenn alles schiefging und er hinfallen sollte, wo doch der Schnee jeden Hilferuf schlucken würde.
    Unter dem Schnee in der alten Wäscheschleuder schliefen Tats beste Erdbeeren. Mein Vater hatte sich zwei Pullover und eine von Tats Wolljacken übergezogen und saß im Garten. Er war ganz still. Spät machte er sich daran, ein bisschen aufzuräumen, suchte im Schnee nach Werkzeugen, die Tat zwar in den Garten getragen hatte, aber nicht zurück. Auch meine Mutter sagte nicht viel, beschwerte sich nicht einmal über den Gestank, die schmutzigen Hemden, die an Nägeln in der Wand hingen, die ausgerissenen Knöpfe, die Tat in einem Teller sammelte, die löchrigen Wolljacken. Müde erschlug sie die letzten Wespen, die hier drin überlebt hatten, und zog ein paar Uhren an den Wänden auf, um mehr hatte Tat sie nicht gebeten.
    – Tat verliert die Fassung, sagte mein Vater, als er einen Apfel briet im Ofen.
    Zwei Nächte zuvor hätte er ihn beinahe erschlagen mit einer Schaufel, weil das Licht einer Taschenlampe durch den Garten zuckte, weil tatsächlich einer umging im Garten und er Tat fand, der fluchte und sagte, er erstatte Anzeige gegen die Schweinehunde, die seine Zeit gestohlen hätten. Unter dem Arsch weg hätten sie seine Zeit gestohlen, am helllichten Tag, und jetzt wollten sie ihm vermutlich ans Leben, was sonst? Er bat meinen Vater, ihm dabei zu helfen, sie einzufangen, er konnte nicht sagen, ob die Tage oder die Diebe oder die Tatta, die er anbrüllte, nicht untätig an ihrem dämlichen Flussufer herumzustehen, und er konnte sich erst beruhigen, als mein Vater ihm einen Apfel versprach, im Ofen geschmort, einen weichen, süßen Apfel, einer von denen, die im Keller lagerten und Runzeln hatten und nur darauf warteten, geschmort und gegessen zu werden, und ich wollte auch so einen haben, es waren die besten Äpfel, die es gab. Nirgendwo sonst waren sie zu kriegen. An allen Äpfeln hatte mein Vater etwas auszusetzen, nur an diesen nicht, nichts, obwohl sie viele Runzeln hatten. Sie rochen nach Honig und nach Tat, wenn er sich rasiert hatte, und anders als Ruth nach Äpfeln roch, roch er weicher, süßer, nicht so frisch, vielleicht nach dem Keller, in dem die Äpfel lagen, ein Keller- und Apfelgeruch, der mehr und mehr das Haus durchzog und sich in die Kleider legte, weil Tat immer vergaß, die Tür zu schließen, oder nicht mehr die Kraft hatte dazu; ein Geruch, der aus den Kleidern verschwand, wenn Tat sie zu lange getragen hatte, und der wieder zum Vorschein kam, wenn die Hemden und Hosen gewaschen oder gelüftet an Haken hingen, wie jetzt, wo Tat vor dem offenen Ofen neben mir saß, während mein Vater sein Bett noch einmal machte und meine Mutter die Kellertür schloss, wir Äpfel aus der Schale lutschten, Tat sich die Lippen verbrannte, weinte und mir ein Rätsel aufgab, weit kniffliger, als ich ihm je eines zugetraut hätte, indem er sagte:
    – Ich möchte nach Hause.
    Mein Vater trommelte mit den Fingern auf den Küchentisch, stand auf und legte Holz nach. Er ging vors Haus, vor dem die Buchenscheite sich bis unters Dach stapelten, er stapfte durch den Garten, betastete die Schneewechten, die zum Haus führten, sah zum Himmel, horchte in die Nacht.
    – Bald liegt Schnee bis zum Fensterbrett.
    – Dann nehmen wir ihn eben mit.
    Meine Mutter ging in den Keller, um

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