Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)
weil die Mundwinkel schmerzten.
Trotz all dem Schmerz, den mir Opa zufügte, trotz meiner Angst – damals war meine Welt noch in Ordnung. Ich wusste, wenn ich nur lange und laut genug schrie, würde mein Papa kommen und mich holen, und alles wäre wieder gut. Nur meinen Papa brauchte ich, um wieder glücklich zu sein.
Und wirklich, er ließ mich auch diesmal nicht im Stich. Zusammen mit meiner Mutter kam er zurück, als meine Oma ihn anrief und ihm sagte, ich brüllte wieder mal das Haus zusammen. Jetzt sei es genug, jetzt sei ihre Geduld am Ende.
Mein Vater war wütend, wie er jedes Mal wütend war, wenn ich ihm wieder einmal seine Pläne über den Haufen geworfen hatte. Aber es machte mir nichts aus. Ich war so froh, bei ihm zu sein. Auch wenn er diesmal seine Wut nicht für sich behielt, bis wir im Auto und allein waren, sondern Oma Berta anschrie: »Was macht ihr denn mit ihr, dass sie jedes –, aber auch wirklich jedes Mal diesen Zirkus bei euch macht?«
»Nichts!«, antwortete meine Oma. »Du weißt doch, sie kann uns nicht leiden.«
»Aber dieses Gebrüll muss doch einen Grund haben!«
»Was sollen wir schon machen mit ihr?«, knurrte mein Opa und paffte an seiner Zigarre. »Wir spielen ein bisschen mit ihr rum, das ist alles.«
»So wie du mit mir gespielt hast, ja?«, schrie nun meine Mutter und zog meinen Vater am Ärmel mit sich. »Komm, lass uns fahren. Wir verpassen ja alles!«
Mein Vater war immer noch wütend. Ich spürte es an der Art, wie er mich festhielt. »Die Jungs schlafen, ja?«, fragte er. »Oder gibt’s da auch Probleme?«
»Quatsch!«, sagte meine Mutter. »Die machen schließlich nie Theater. Jetzt komm schon!«
Schon als mein Vater mich zum Auto trug, versuchte ich so zu tun, als sei ich eingeschlafen. Es war nicht schön, von ihm ausgeschimpft zu werden oder gar einen Klaps zu bekommen. Wenn ich schlief, ließ er mich in Ruhe. Oft genug hatte ich es ja ausprobiert. Da meine Brüder diesmal nicht im Auto waren, hatte ich die ganze Rückbank für mich. Mein Vater warf eine Decke über mich, dann fuhren wir los.
Irgendwann unterwegs fragte mein Vater unvermittelt seine Frau: »Was hast du vorhin gemeint mit deinem ›So wie du mit mir gespielt hast‹?«
Meine Mutter lachte: »Wird ihr schon nicht groß schaden. Ich hab’s schließlich auch überlebt.«
»Und was?«
»Bist du blöd, oder tust du nur so?« Meine Mutter guckte nach hinten, ob ich auch wirklich schliefe. »Was wird er schon machen, der alte Sack? Ein bisschen spielen, ein bisschen fummeln, was weiß ich. Nichts Schlimmes, Kleinkram eben.«
Mein Vater bremste so stark, dass ich fast von der Rückbank fiel. »Soll das heißen, dein Vater hat sich an unserer Tochter vergangen – an so einem kleinen Kind? Und du weißt das? Und unternimmst nichts dagegen?«
Meine Mutter lachte dieses widerliche, unechte Lachen, das ich heute auch drauf habe, wenn ich mich mal wieder hinter mir selbst verstecke. »Aus mir ist auch was geworden«, sagte sie. »Das ist alles halb so wild. Mach bloß keinen Negeraufstand deswegen!«
»Du deckst das?«, fragte mein Vater. Seine Stimme war so leise, dass ich ihn kaum verstand. »So eine bist du?« Plötzlich brüllte er: »Dieses Schwein! Dieses verfluchte Schwein! Ich bring ihn um!« Und dann weinte er.
Etwas Schrecklicheres hatte ich noch nie erlebt.
IV
Meine beiden Brüder und ich erfuhren erst, dass wir ein neues Geschwisterchen bekommen würden, als der dicke Bauch meiner Mutter nicht mehr zu übersehen war.
»Wünschst du dir ein Brüderchen oder ein Schwesterchen?«, fragte mein Vater mich.
Ich überlegte nicht lange. »Ein Schwesterchen natürlich!« Brüder hatte ich schließlich schon.
Meine Mutter wollte kein Mädchen. Sie wollte überhaupt kein Kind mehr, aber ein Mädchen schon gar nicht. »Eine von deiner Sorte ist schon zu viel«, sagte sie zu mir – aber nur, wenn mein Vater nicht in der Nähe war.
In seiner Gegenwart beschimpfte sie mich damals nie. Doch ständig beklagte sie sich bei ihm, dass ich wieder einmal böse und unfolgsam gewesen sei. Das wirkte schon. Mein Vater fiel immer darauf herein. Sein Schelten brach mir jedes Mal das Herz. Oft wachte ich nachts voller Angst und Verzweiflung auf, nur weil er mir böse gewesen war.
Mittlerweile war ich längst alt genug, um in den Kindergarten gehen zu können, doch ich blieb zu Hause. Da meine Mutter nicht arbeiten und etwas dazuverdienen konnte, wäre ein Kindergartenplatz für mich erstens wohl zu teuer
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