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Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)

Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)

Titel: Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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etwa?«
    »Sei nicht so eifersüchtig!«, sagte mein Vater zu mir. »Wer an sich selbst zuerst denkt, an den denken die anderen zuletzt.«
    Ich begann zu lachen. So wie ich immer lache, wenn die Tränen locker sitzen. Lachen hilft. Denn wenn du dabei weinst, sieht man den Tränen nicht an, warum sie fließen.
    Dass meine Geburtstage zu guter Letzt doch immer ein wenig wie Freudentage ausfielen, verdanke ich Tante Inge. Obwohl sie mich als ihr Patenkind jedes Jahr zur Nikolausfeier zu sich nach Hause einlud und mein unter ihrer Aufsicht blitzblank gewienerter Winterstiefel ebenso reich gefüllt vor der Haustür stand wie diejenigen ihrer eigenen Kinder, vergaß sie meinen Geburtstag nie. »Nikolaus ist Nikolaus, und Geburtstag ist Geburtstag«, sagte sie und sang mir »Happy Birthday« vor, ehe sie mir ihr Geschenk überreichte, das immer wunderschön verpackt war. Geschenke meiner Tante waren wahr gewordene Träume. Nie schenkte sie mir zum Geburtstag Schuhe, die ich sowieso bekommen hätte, weil die alten zu klein oder ausgelatscht waren. Nie bekam ich abgelegte Kleidungsstücke, die ihren eigenen Kindern nicht mehr passten oder nicht mehr gefielen. Solche Sachen bekam ich zwar auch von ihr, aber nie zum Geburtstag. An diesem Tag schenkte sie mir heiß ersehntes, lang erträumtes Spielzeug.
    Nie werde ich die Puppe vergessen, die ich von Tante Inge zu meinem sechsten Geburtstag erhielt. Sie hatte lange blonde Locken und Schlafaugen, und wenn man sie in die Arme nahm, konnte sie mit einer lieben Stimme »Mama« sagen. Ich war vor Glück wie erstarrt.
    »Willst du nicht wenigstens danke sagen?«, rief meine Mutter. »Undankbares Ding!«
    Die Ohrfeige brannte auf meiner Haut. Aber viel schlimmer noch brannte die Angst: Dachte Tante Inge jetzt, ich sei undankbar? »Danke!«, wollte ich sagen. Aber es ging nicht.
    »Lass sie doch!«, bat Tante Inge und nahm mich auf den Schoß. »Ich sehe ja, wie sie sich freut. Das genügt doch.«
    Da sprudelte das »Danke!« wie von selbst aus mir heraus. Meine Tante drückte mich ein wenig. Und meine wunderschöne Puppe lächelte mich an – mich ganz allein.
    »Zeig doch mal her, das Ding!«, sagte meine Mutter.
    Ich presste die Puppe an mich und schüttelte den Kopf.
    Meine Mutter störte das nicht. Mit groben Händen entriss sie mir die Puppe, begutachtete sie von allen Seiten, zerrte an dem geblümten Spitzenrock und den weißen Plastikschühchen und drückte auf dem Bauch herum.
    »Mama!«, rief mein Puppenkind. »Mama!« Es zerriss mir das Herz.
    »Die war doch viel zu teuer«, sagte meine Mutter. »Für die hast du doch gut und gern fünfzig Mark hingeblättert. Also, weißt du, Inge, eine billigere hätte es auch getan. Die Moni kriegt sowieso alles gleich kaputt.«
    Mein Herz schlug so stark, dass es schmerzte. Stumm streckte ich die Arme nach meiner Puppe aus.
    Lächelnd hielt meine Mutter sie ein Stückchen höher. Und zu meiner Tante Inge sagte sie: »Mir wäre es sowieso lieber, wenn du in Zukunft sinnvolleres Zeug schenken würdest, Inge. Bei uns fehlt es ja hinten und vorne. Wenn schon Spielzeug, dann doch wenigstens etwas, wovon alle etwas haben.«
    »Hast du denn nie mit Puppen gespielt?«, fragte meine Tante. Ihre Stimme klang freundlich, doch ich spürte, wie ärgerlich sie war. »Kleine Mädchen brauchen etwas zum Liebhaben. All die Pistolen und Autos, die hier bei euch rumliegen, sind ja wohl nicht das Geeignete für sie.«
    In diesem Moment hüpfte Georg heran. »Haben!«, schrie er. »Haben!« Und dabei reckte er sich auf Zehenspitzen nach meiner Puppe.
    »Nein!«, schrie ich und stürzte auf meine Mutter zu. »Bitte nicht!«
    Doch meine Mutter hatte Georg die Puppe schon gegeben. »Stell dich bloß nicht so an!«, herrschte sie mich an, während Georg triumphierend mit meiner Puppe davonrannte. »Eine, die nicht teilen kann! So weit kommt es noch!«
    Einen Augenblick glaubte ich, Tante Inge wolle mir beistehen. Doch dann strich sie mir nur übers Haar. »Ich gehe dann wohl lieber«, sagte sie.
    Kaum hatte sich meine Tante verabschiedet, rannte ich ins Kinderzimmer, um mir die Puppe zurückzuholen. Doch Georg hatte ganze Arbeit geleistet. Der Puppenkopf war abgerissen. Grausig starrten die leeren Augenhöhlen mich an. Arme und Beine sowie die Fetzen der Puppenkleider waren auf dem Boden verstreut. Im Rücken des nackten Rumpfes klaffte ein rundes Loch. Das Plastikdöschen, das darin verborgen gewesen war, hielt Georg noch in der Hand. »Mama!«, wimmerte es,

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