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Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)

Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)

Titel: Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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ganz ordentlich« war.
    Am glücklichsten war ich jedoch, wenn ich in einer Ecke des Wohnzimmers sitzen und endlich einmal in Ruhe spielen konnte. Wenn wir zu Besuch kamen, kramte Oma Berta stets die alten Kinderschätze von meiner Mutter und deren Geschwistern aus einer Kiste hervor. Auch eine Babypuppe und ein Teddybär waren dabei. Zwar sahen sie schon reichlich lädiert aus, doch in meinen Augen waren sie wunderschön.
    Einmal – ich war ganz in mein Spiel vertieft – trat Oma Berta zu mir. »Was spielst du denn da?«
    »Vater«, sagte ich und ließ den abgeschabten braunen Bären auf der nackten Babypuppe liegen.
    »Vater?«, fragte meine Oma. »Und dabei stöhnst du so?«
    »Ja«, antwortete ich. »Er macht doch eben Pipi in die Puppe. Da muss er so stöhnen. Das weißt du doch.«
    Mit einem Griff riss meine Oma den armen Bären von der Puppe und warf ihn irgendwo hinter sich. »Ja, so ein Schweinkram!«, schimpfte sie. »So eine Sauigelei! Wer hat dir denn das bloß wieder beigebracht?«
    Ich wollte antworten: »Papa.« Aber ehe ich das Wort noch aussprechen konnte, hatte meine Oma schon die Tür hinter sich zugeknallt.
    Den Bären hatte sie mitgenommen. Ich sah ihn niemals wieder.
    In den letzten Tagen dieser Ferien ging Oma Berta mir aus dem Weg. Ich hätte sie so gern gefragt, wo sie den Bären versteckt hatte. Aber ich wagte es nicht.
    So musste die Puppe mit meinem grünen Quaki vorlieb nehmen. Quaki hieß mein Frosch aus Plüsch. Ohne ihn im Arm und den Daumen im Mund schlief ich nicht ein. Mein Vater hatte ihn mir geschenkt. Als er ihn mitbrachte, sagte er: »Er heißt Quaki, weil er genauso quakt wie du. Quak, Quak, Quak!«
    Quaki war der Anlass für meine erste Prügelei mit meinen Brüdern – und für meinen ersten Sieg. Die Tritte und Püffe und die blauen Flecke danach machten mir damals wenig aus. Quaki war mein Freund. Er hörte mir zu, wenn ich Sorgen hatte. Er verpetzte mich nie, wenn ich heimlich weinte.
    »Wehe, du spielst wieder solche Schweinereien!«, sagte Oma Berta, als sie Quaki bei meiner Puppe sah. »Ich nehme ihn dir weg!«
    »Nein!«, rief ich und legte schützend die Arme um den Frosch. »Quaki ist doch kein Vater!«
    Meine Oma wandte sich wortlos ab.
    Was wäre gewesen, wenn sie nachgehakt hätte? Wenn sie gefragt hätte: »Wie kommst du denn auf die Idee, so ein Spiel zu spielen?« Wenn sie gefragt hätte: »Spielt denn dein Vater so mit dir?« Hätte ich mir die Angst und den Kummer von der Seele geredet? Und hätte sie mich getröstet?
    Aber meine Oma fragte nicht. »Mein Schwiegersohn tut so etwas nicht«, sagte sie Jahre später vor Gericht. »Meine Enkeltochter lügt.«
    Sie wusste es besser. Sie muss es schon immer besser gewusst haben. Aber sie wollte es nicht wissen. Selbst im hohen Alter, selbst vor Gericht war sie nicht imstande, ihre eigene Scheinwelt zu zerschlagen und sich selbst die Wahrheit einzugestehen. Nicht einmal in meiner höchsten Not konnte sie zugeben: »Es ist wahr. Er hat es getan.« Stattdessen verstieß sich mich, wie sie einst ihre eigene Tochter verstoßen hatte.
    Wenn ich damals in den Ferien meinen Mund aufgemacht hätte: Hätte meine Oma mir geglaubt? Hätte sie das kleine Mädchen mit dem Frosch im Arm überhaupt angehört? Oder hätte sie nicht eher getan, was sie meinen Eltern dann vor Gericht empfahl: nämlich mich mit ein paar Ohrfeigen zum Schweigen gebracht? Als kleines Mädchen muss ich geahnt, gefühlt haben, dass Oma Berta mir nicht glauben würde. Ich versuchte nie wieder, mit ihr über meinen Vater zu reden. Aber dieses eine böse Wort, das sie über mein Spiel gesagt hatte, hatte sich tief in mich eingefressen: »Schweinereien«.
    Waren das, was Papa mit mir tat, Schweinereien? Schweinereien waren etwas Schmutziges, Ungezogenes. Wenn ich mit lehmverschmierten Schuhen in die Wohnung trat, schrie meine Mutter: »So eine Schweinerei!« Durfte darum die Mami nichts davon wissen, was der Papa mit mir tat?
    Ich begriff, dass mein Vater etwas Schmutziges mit mir tat. Es gefiel mir nicht. Ich hatte es ihm gesagt. Er tat es trotzdem. Er sagte, wenn man einen liebt, tut man es. Nur Kinder, die ihren Papa nicht lieb hatten, taten es nicht. Ich hatte meinen Papa lieb. Also tat ich es. Aber es war eine Schweinerei. Es war schmutzig. Ich war schmutzig davon, so wie meine Schuhe vom lehmigen Acker schmutzig waren. Wenn meine Mutter es erführe, würde sie böse werden. Böse auf Papa und auf mich. Sie mochte kein schmutziges Mädchen. Sie würde

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