Monika B. Ich bin nicht mehr eure Tochter: Ein Mädchen wird von seiner Familie jahrelang misshandelt (German Edition)
hatte ich mit den anderen leichtes Spiel. Meistens suchten sie das Weite.
Selten unterlag ich – und wenn es doch einmal passierte, tat ich selbstverständlich cool bis ins Herz. Tränen hätten meinem Image geschadet. Vor einer solchen Blamage fürchtete ich mich im Grunde mehr als vor der Keile, die mir drohte.
Ich war zehn, elf Jahre alt. Ich war zu lang aufgeschossen und viel zu schwer. Dennoch war ich klein und verletzlich. Ich sehnte mich nach Zuneigung, Freundschaft und Zärtlichkeit. Aber Gefühle kannte ich nur in Form von Gewalt – und so war Gewalt für mich mittlerweile auch die einzige Art, meine Gefühle zu zeigen. Sosehr ich mir ein nettes Wort, eine nette Geste wünschte – sie lösten Panik in mir aus. Freundlichkeit kannte ich nur als eine Art Vorspiel, als Vorbereitung zu Schmerzen, die mir zugefügt wurden. Kein Wunder, dass ich Freundlichkeiten mied und auch selbst keine zu geben vermochte.
Beliebt machte meine Rauflust mich nicht gerade. Als ich in späteren Jahren Mädchen aus meiner ehemaligen Klasse wiedertraf, erzählten sie mir, wie sehr sie sich vor mir gefürchtet hatten. Ich sei eine unflätig herumbrüllende, um sich tretende und schlagende Kampfmaschine gewesen, ein richtiges Monster. Ich hatte damals gar nicht gespürt, welche Angst ich um mich herum verbreitete. Mir war nur bewusst, dass die Mädchen mir aus dem Weg gingen. Ich war ihnen zu anders.
Ich gab mich nicht mit Puppen ab und hielt auch nichts davon, Arm in Arm mit anderen Mädchen über den Pausenhof zu flanieren und hinter vorgehaltener Hand Geheimnisse auszutauschen. Das Geheimnis, das ich mit meinem Vater teilte, deckte meinen Bedarf an Geheimem überreichlich ab. Aber das konnten die anderen Mädchen natürlich nicht wissen.
Dass niemand etwas mit mir zu schaffen haben wollte, hing aber wohl auch damit zusammen, dass ich alles andere als eine Augenweide war. Bis zu dem Zeitpunkt, da Stefan, was die Körpergröße angeht, mich endgültig hinter sich ließ, hatte ich kaum jemals ein neues Kleidungsstück besessen. Was ihm zu knapp geworden war, erbte ich. Und vieles hatte bereits er von verschiedenen Onkeln. Ließ ich tatsächlich noch einen guten Faden daran, ehe ich herauswuchs, wurde Boris damit beglückt, der allerdings, wie Georg, auch Sachen auftragen durfte, die vorher »nur« die Söhne meiner Tante getragen hatten. Für uns war alles gut genug.
Schlimmer noch war, dass meine Omaklamotten geradezu zum Himmel mieften.
Da wir Kinder selbst für unsere Sauberkeit und die unserer Kleider zuständig waren, stand es um beides nicht zum Besten. Uns war nie nahe gebracht worden, dass ein sauberer Hals und saubere Unterwäsche einen gewissen Stellenwert haben sollten. Uns war nicht einmal bewusst, wie wir aussahen und muffelten.
Vor allem hatte ich jahrelang mit dem Badezimmer wenig am Hut. Nicht zuletzt, weil es keinen Schlüssel für das Bad gab. Ganz egal, was einer dort machte – dauernd war Durchgangsverkehr. Mich nackt unter die Dusche zu stellen, nackt in die Badewanne zu steigen, nackt vor dem Waschbecken zu stehen – da wären mir alle Sicherungen durchgebrannt vor Angst. Nackt zu sein bedeutete: Ab ins Bett und Beine breit! Freiwillig zog ich mich nicht aus. Weder für Papa noch zum Waschen. Katzenwäsche musste genügen. Allenfalls wenn Tante Inge da war, ließ ich mich gelegentlich zu einem Bad überreden.
Schmerzlicher als die Ablehnung der Mädchen traf es mich, auch von den Jungen links liegen gelassen zu werden. Zwar übte ich mit meiner Kraftmeierei eine gewisse Faszination auf sie aus, sodass sie es ständig darauf anlegten, mich in eine Rauferei zu verwickeln. Doch sie akzeptierten mich nicht als ihresgleichen. Letztendlich blieb ich in ihren Augen, was ich nicht sein wollte: ein Mädchen.
Die Lebensschule, die mein Vater mir angedeihen ließ, machte mich jedoch erfinderisch. Du bekommst nichts umsonst und alles für Geld – nach diesem Motto begann ich, mir Freunde zu kaufen. Geld aufzutreiben war ein lösbares Problem. Ich stahl es meiner Mutter aus dem Portemonnaie, später auch Bekannten meiner Eltern und mit besonderer Vorliebe den Männern, die meine Mutter besuchten.
Mein schlechtes Gewissen ließ sich insofern leicht verdrängen, als meine Brüder ebenfalls klauten, was das Zeug hielt. Vor allem aber war meine Mutter die wohl perfekteste Unterschriftenfälscherin, die ich mir vorstellen kann. Wenn sie wieder einmal knapp bei Kasse war und mein Vater kein Haushaltsgeld mehr
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