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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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eifersüchtig und Angst haben, sie käme zu kurz wegen mir. Oder?
    Mein Halbbruder Stefan war mittlerweile bald schulpflichtig. Meine Mutter konnte es kaum erwarten. Während der Jahre mit uns Kindern war ihr immer stärker klar geworden, dass ihr Hausfrauendasein sie nicht ausfüllte. Sie wollte unbedingt wieder arbeiten, Erfolg haben, eigenes Geld verdienen und davon vielleicht sogar eine Haushaltshilfe bezahlen.
    Nach der Einschulung des Ältesten könnte ich ja gut in den Kindergarten gehen. Dann wäre nur noch Boris, der Jüngste, ganztags zu Hause. Doch der wäre auch bald aus dem Gröbsten heraus und könnte vielleicht stundenweise von Oma oder Tante Inge betreut werden.
    So oder ähnlich werden die Pläne meiner Mutter gewesen sein. Es ist für mich heute natürlich nicht leicht, das alles zu rekonstruieren. Je länger ich, während ich hier sitze und schreibe, über meine Vergangenheit nachdenke, desto mehr Erinnerungsfetzen kommen, die ganz zuunterst irgendwo verschüttet waren.
    Auf jeden Fall weiß ich, dass meiner Mutter damals ein Halbtagsjob vorschwebte. Sie schrie uns Kindern noch jahrelang ihre Enttäuschung darüber ins Gesicht, dass daraus nichts geworden war. Reihum machte sie uns für die schlimmen Enttäuschungen ihres Lebens verantwortlich.
    Eine der schlimmsten Enttäuschungen für meine Mutter war mein jüngster Bruder: Georg. Er kündigte sich an, als für meine Mutter ihr neues Wunschziel zum Greifen nahe war.
    Mein ältester Bruder war soeben zur Schule gekommen, für mich stand ein Kindergartenplatz bereit. Ein schönes Weihnachtsfest unter glücklichen Leuten, die ihr Leben fest im Griff hatten, stand bevor, denn im neuen Jahr würde meine Mutter wieder voll durchstarten und endlich mithelfen, Geld in die Kasse zu bringen.
    Als ihre Regelblutung im November ausblieb, brach meine Mutter zusammen. Zum zweiten Mal wurde sie durch eine absolut unerwünschte Schwangerschaft aus der Bahn geworfen. Alle Anstrengungen, aus dem Elend ihrer Kindheit durch Leistung aufzusteigen, waren umsonst gewesen. Nichts, nichts hatte sich gelohnt. Nie mehr – in ihrer Verzweiflung muss meine Mutter es wohl so empfunden haben – würde sie es schaffen, vor sich selbst, vor meinem Vater, vor allen anderen erfolgreich und anerkannt dazustehen. Schon wieder hatte sie versagt, schon wieder ihre Chance vertan. Und was war schuld? Der Sex, immer wieder nur der Sex!
    Mein Vater nahm die neue Schwangerschaft weniger tragisch. Er verdiente zwar nicht gerade üppig, große Sprünge konnten sie nicht machen. Aber das Geld reichte, um über die Runden zu kommen. »Kopf hoch, Schatz!«, sagte er. »Davon geht die Welt nicht unter. Wo fünf satt werden, reicht’s auch für sechs. Wir waren auch vier Gören zu Hause, bei euch waren es sogar fünf. Keiner ist verhungert. Und außerdem klingelt es sowieso bald lauter in der Kasse. Oder meinst du, ich hätte den Meister bloß aus Jux und Dollerei gemacht?«
    Aber so leicht ließ sich meine Mutter nicht beruhigen. »Und ich?«, schrie sie. »Was ist mit mir, mit meinen Wünschen? An mich denkst du wohl gar nicht! Soll ich etwa zwischen schmutzigen Windeln und dreckigen Töpfen versauern? So habe ich mir das nicht vorgestellt mit dir! Alle paar Monate ein Kind – ist es das, was du willst? Ich nicht!«
    »Wessen Bauch ist es denn, verdammt noch mal?«, brüllte mein Vater zurück. »Bist du die Frau oder ich? Du hast doch ausgerechnet, an welchen Tagen es ungefährlich war.«
    »Ja«, sagte meine Mutter, »ich habe gerechnet, und du hast dich nicht daran gehalten!«
    Über Abtreibung wurde trotzdem nicht gesprochen. Mein Vater hätte es nie geduldet. Meine Mutter hätte es nie gewagt. Als strenggläubige Katholiken und aktive Gemeindemitglieder, die jeden Sonntag in die Messe und regelmäßig zur Beichte gingen, war es meinen Eltern nicht einmal möglich, wirksam zu verhüten – geschweige denn abzutreiben. Außer den vom Papst gebilligten natürlichen Methoden wie Knaus-Ogino oder Verkehr während der Monatsblutung war nichts erlaubt. Alles andere war Sünde. Abtreibung wäre der ewigen Verdammnis gleichgekommen. Schon der Gedanke daran war sündhaft.
    Ob meine Mutter, als sich Georg ankündigte, diesen sündhaften Gedanken nicht vielleicht doch hegte? Sie musste sich ja klarmachen, dass sie Mitte dreißig sein würde, wenn dieses vierte Kind zur Schule kam. In ihren Augen zu alt, um nochmals von vorn anzufangen oder in den alten Beruf zurückzukehren. Die einzige

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