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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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Toilettenpapier sah ich Blut. Wieso blutete ich da unten? War ich krank? Musste ich sterben? Ein Schauder erfasste mich. Wie war das, wenn man starb? Tat es weh? War der Schmerz beim Sterben größer als der, den ich jetzt spürte?
    Der Gedanke ans Sterben bereitete mir Angst, aber irgendwie auch Genugtuung. Das hatte mein Vater davon! Es schadete ihm gar nichts, wenn ich tot wäre!
    Ich will gar nicht wissen, wie alt ich damals war. Ich rechne nicht nach. Was für eine Rolle spielt es schon, seit wie vielen Jahren ich auf der Welt war? Ich war doch kein Kind mehr, oder? War ich überhaupt jemals eines gewesen? Oder war ich nur eine lebendige Puppe, die andere nach Lust und Laune benutzten?
    Ich weiß nicht, wie alt ich war – aber ich weiß noch sehr genau, wie klein ich war. Alles an mir war klein, innen und außen. Nur mein Schmerz war groß.
    In den darauf folgenden vier Wochen ging das Kind in mir endgültig zu Grunde. Mein Vater holte mich regelmäßig zu sich ins Bett. Er drang zwar nicht mehr mit dem Penis in mich ein, weil er sich – wie er sich ausdrückte – nicht die Haut bei mir abscheuern wollte. Aber es gab keine Stelle meines Körpers, die er nicht auf andere Weise in Besitz genommen hätte. Ich verlernte alles, was das Kind in mir je gelernt hatte: die Fähigkeit, Vertrauen zu haben, Freude und Sorglosigkeit zu empfinden, glücklich zu sein. Stattdessen begann ich, wieder am Daumen zu nuckeln und mein Bett einzunässen. Nicht einmal Georg wollte mit einer »Piss-Marie« wie mir zusammen schlafen.
    Nachts lag ich stundenlang wach und lauschte auf jedes Geräusch im Haus. Näherten sich Schritte der Kinderzimmertür? Wer stimmte in Mamas Stöhnen mit ein: Papa – oder ein fremder Mann? Wenn Papa stöhnte, hieß das Ruhe für mich; ein fremdes Stöhnen aber bedeutete höchste Gefahr.
    Noch heute versetzt es mich in höchste Panik, wenn nachts unverhofft unter meiner Zimmertür ein Lichtstreifen zu sehen ist. Noch heute kann ich das verstohlene Geräusch einer möglichst lautlos niedergedrückten Türklinke nicht ertragen.
    Georg liebte Besuch. Er fieberte darauf, dass wir die Erlaubnis erhielten, ins Wohnzimmer zu kommen. Wo ich am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht hätte, warf er sich jedem an den Hals, kraulte ihn, küsste ihn ab. Bei jedem machte er sich lieb Kind – und durchaus nicht etwa, weil er sich dafür Süßigkeiten oder eine andere Belohnung erhoffte. Ich prügelte mich mit ihm, weil ich wollte, dass er mit diesem Schwachsinn aufhöre. Aber er ließ es nicht. Vermutlich wusste Georg selbst nicht, warum er so versessen darauf war.
    Ich verabscheute Besuch. Nachdem mein Vater mir gezeigt hatte, wie die Großen Liebe machen, sah ich die immer häufiger bei uns einkehrenden Gäste mit anderen Augen. Plötzlich war mir klar, was sie mit meiner Mutter trieben. Ich glaubte auch zu wissen, warum sie schrie. Liebe machen tat weh. Trotzdem hegte ich kein Mitleid für sie. Meine Mutter hatte Abscheu in mir gesät, und die Saat war aufgegangen.
    Solange ich klein genug war, vieles ohne Nachdenken hinzunehmen, hatte ich nicht einmal ein schlechtes Gewissen, meine Mutter abzulehnen. Meine Mutter war eine schlechte Frau. Alle sagten es, die mir wichtig waren. Sie hatte Strafe verdient. Liebe machen zu müssen, schien die Strafe für ihre Schlechtigkeit zu sein. Es war gut, dass es ihr so wehtat, dass sie stöhnen musste. Es geschah ihr recht.
    Mir war klar geworden, dass die Besuche, die meine Mutter von fremden Männern erhielt, und die heimlichen Besuche meines Vaters bei mir auf rätselhafte Weise zusammenhingen. Was die Fremden meiner Mutter zufügten, fügte mein Vater mir zu. Meine Mutter hatte es verdient; denn sie war schlecht. Aber ich – warum hatte ich es verdient? Was hatte ich Schlimmes getan?
    War ich schlecht, weil ich am Daumen lutschte? Mein Vater hatte es eines Nachts gesehen, als er sich an mein Bett schlich. Klatsch! Klatsch! Klatsch! – Er schlug mich aus dem Schlaf. Vor Schreck blieb mir die Stimme weg. Dann musste ich ihn versöhnen; ihn streicheln, von ihm gestreichelt werden, überall befingert werden, seinen Pimmel in den Mund nehmen, sein weißes Zeug ertragen. Das alte Spiel. Warum bekam dieser Mensch nur nie genug davon? Und warum biss ich nicht einfach mal fest zu, biss ihm das widerliche Stinkding ab – Ende, Amen, aus? Warum hatte ich solche Angst davor, totgeschlagen zu werden?
    Oder war ich schlecht, weil ich ins Bett pinkelte und oft auch in meine Hosen? Bis

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