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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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wir diesem Dauergrufti, Peter Alexander, zu, bei dem meine Mutter vor Entzücken immer Stöhnanfälle bekam.
    »Eines schönen Tages«, sagte Georg plötzlich träumerisch, während er einen Arm um mich legte und seinen Kopf an meine Schulter drückte, »eines Tages verschwinden wir von hier, nur wir beide, für immer und ewig. Das haben sie dann davon. Dann werden sie schon merken, wie das ist, wenn sie keinen mehr haben, den sie dauernd runtermachen können. Dann werden sie dumm rumstehen und heulen und betteln, dass wir doch wiederkommen sollen, und versprechen, dass sie sich ändern werden. Aber wir kommen nicht zurück. Keiner kann uns mehr kriegen. Und wir bleiben immer zusammen.« Mit einem Ruck richtete er sich auf und sah mich starr an. »Du – geh ja nie mehr ohne mich! Lass mich hier ja nie allein! Hörst du? Niemals!«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht, dass Georg mir näher erklärte, was ich längst verstanden hatte.
    »Versprochen?«, drängte er und nahm meine Hand.
    »Versprochen!«, flüsterte ich. Ich dachte nicht im Entferntesten daran, mein Wort zu halten. Doch ich ahnte nicht, dass Georg es auch nicht tun würde. Dass er – wie umgekehrt auch ich – nur darauf aus war, mich durch dieses Versprechen zu binden und am Leben zu erhalten, sich selbst aber alle Wege offen zu halten.
    Immer wieder sprachen wir heimlich miteinander über dieses Verschwinden, ohne es jemals offen beim Namen zu nennen. Es war unsere Magie, unser Ritual und streckenweise unser einziger Schutz.
    Immer häufiger fingen Georgs Sätze an mit: »Wenn ich erst weg bin ...« Ich nahm es hin, ohne darüber nachzudenken. Oft reichte die Kraft nicht zum Denken.
    Seit ich menstruierte, schien mein Leben nur noch aus Blut, Schmerz und Sperma zu bestehen. Ich hasste mein Geschlecht, meinen Körper. Wenn ich mich beim Waschen berühren musste, wünschte ich mir meine Finger taub, so ekelte es mich vor mir selbst. Auch wenn ich stundenlang unter der Dusche gestanden hatte, vermeinte ich noch den Geruch meines Vaters auf meiner Haut wahrzunehmen. Alles an mir schien verseucht von dem, was er mich zu schlucken zwang. Kein Spiegel zeigte ein anderes Bild von mir selbst als dasjenige, das mir aus dem riesigen neuen Schlafzimmerspiegel über dem Bett meiner Eltern begegnete, während das ächzende Monster auf mir und in mir war.
    Ich war erst 14 und fühlte mich doch uralt. Ich stand am Anfang meines Lebens und war doch völlig am Ende. Manchmal kämpfte ich noch darum, als Person beachtet zu werden, aber immer richtete ich die Spitze gegen mich selbst.
    Als könnte ich alles Weibliche in mir auslöschen, indem ich es verleugnete und versteckte, lief ich in Pullis herum, die – wie mein Vater sagte – den Sack zum Modehit kürten. Röcke waren gefährlich, sie konnten als ein »Fass mich an« missverstanden werden. Also zog ich Hosen an, möglichst lang, möglichst schlabberig und weit.
    Trotz aller Tarnversuche wurde die Frau in mir doch entdeckt – durch meinen Vater. Er schenkte mir Reizwäsche, damit ich sie für ihn trug, und eigens für mich maßgefertigte Lederklamotten. War die Frau in mir denn nie zu beseitigen?
    Ich hatte von einer operativen Geschlechtsumwandlung gelesen. Eine Frau war ein Mann geworden. War es das, was ich wollte: ein Mann sein? Wochenlang wachte ich danach schreiend aus Albträumen auf, in denen mein Vater mit seinem Messer an mir herumschnitzte, bis mir unten ein Monsterding wuchs. Nein, ein Mann wollte ich nicht sein, so wenig wie eine Frau. Ich wollte überhaupt kein geschlechtliches Wesen sein, sondern nur ich, Monika B.

XXI
    In den Prozessakten heißt es, ab 1980 sei meine Mutter dreimal im Krankenhaus gewesen – zuerst wegen einer Fehlfunktion der Schilddrüse, danach wegen des Blinddarms und zuletzt, um sich sterilisieren zu lassen. Nur dreimal? Mir kommt es heute so vor, als habe sie mehr Zeit in der Klinik als zu Hause verbracht. Aber wahrscheinlich spielt mir die Erinnerung einen Streich: Die Wochen, in denen meine Mutter weg war, dehnten sich ins Unendliche, weil mein Vater sich in dieser Zeit wie ein Rasender an mir austobte; ich hatte quasi neben meiner altgewohnten Rolle auch noch die der Ehefrau zu spielen. In dieser Zeit vergaß er sogar, die Monatsbinden gewissenhaft abzuzählen, und schlief mit mir, wann, wo und wie oft es nur ging.
    Sogar auf Baustellen, auf denen er zu tun hatte, nahm er mich mit, um in irgendeinem schmutzigen Bauwagen sein Mütchen an mir zu kühlen,

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