Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter
gedrückt hatte.
»Heute Abend.« Der Arzt stand auf. Der Besuch war beendet. Ich hatte nichts begriffen.
Ich war 15, mein Verstand war jedoch auf dem Niveau einer höchstens Elfjährigen. Mit dem Begriff Schwangerschaft konnte ich kaum etwas anfangen. Kinder wurden für mich immer noch vom Klapperstorch gebracht, auch wenn ich wusste, dass es etwas mit Liebe-Machen zu tun hatte. Wenn man mit einem Mann ins Bett ging, konnte dabei irgendwie ein Kind entstehen. Man musste es sich nur wünschen, dann passierte es. Meine Mutter zum Beispiel wünschte sich kein Kind mehr. Sie ging mit vielen fremden Männern ins Bett, ohne davon schwanger zu werden. Warum also sollte ausgerechnet ich davon ein Kind bekommen? Schließlich tat ich es nur mit einem Mann, und gewünscht hatte ich mir noch nie, eines zu bekommen.
»Papa«, fragte ich, als wir das Haus des Arztes verlassen hatten, »warum kriege ich denn ein Kind? Ich will keines!«
»Mach dir keine Sorgen!«, erwiderte mein Vater, während er das Auto aufschloss und mich auf den Beifahrersitz schob. »Das kriegen wir schon hin. Kannst dich auf deinen lieben Papa verlassen. Der hat bisher noch alles geschaukelt. Aber keinen Ton zu Mama oder zu irgendwem, sonst ...«
Sonst passiert was! Diesen Spruch kannte ich schon. Ein Geheimnis zieht das nächste nach sich. Bald würde ich eine ganze Sammlung davon haben.
Mir war klar, dass ich besser den Mund halten sollte. Aber etwas war mir so wichtig, dass ich es meinem Vater sagen musste – auch wenn er mich dafür vielleicht krankenhausreif prügelte. Im Krankenhaus wäre ich wenigstens sicher vor ihm. »Papa«, sagte ich also und nahm meinen ganzen Mut zusammen, »ich will kein Kind, wirklich! Ich hab’s nicht bestellt! Ich kann nichts dafür, bestimmt!«
Ich begriff nicht, warum mein Vater lachte. Er konnte gar nicht wieder aufhören. Endlich nahm er mich in den Arm, immer noch lachend. »Du bist so süß!«, sagte er. »So unheimlich süß. Na, und ob du etwas dafür kannst, dass du ein Kind kriegst! Du machst mich nämlich verrückt. Du machst, dass ich mich total vergesse. Ach du, ich könnte schon wieder mit dir! Du machst mich rasend! Wegen dir verliere ich noch mal den Verstand. Komm, ich will dich. Sag, dass du mich liebst. Sag es, sag es!«
»Ich liebe dich, Papa!«, sagte ich und schämte mich, weil Leute an unserem Parkplatz vorbeigingen und ins Auto starrten.
»Kümmer dich nicht um die Leute!«, flüsterte mein Vater und küsste meine Brust. »Kann jeder sehen, wie verrückt du mich machst.«
Nachdem mein Vater mich zu Hause abgesetzt hatte, war es in unserer Wohnung zum Fürchten still. Meine Brüder waren in der Schule, Stefan arbeitete. Ich versuchte im Kinderzimmer aufzuräumen, um meinen Fragen davonzulaufen. Doch sie holten mich immer wieder ein. Wenn ich ein Kind bekam, war mein Vater zugleich der Vater des Kindes. Wir hatten also denselben Vater. Kinder, die denselben Vater haben, sind Geschwister. War ich also die Schwester meines eigenen Kindes? Wie konnte ich meinen eigenen Bruder oder meine eigene Schwester bekommen? Und wieso war dieses Kind überhaupt in meinem Bauch? Hatte Papa es sich gewünscht? Wollte er, dass ich ihm ein Kind schenkte, weil meine Mutter es nicht mehr tun wollte? Aber warum hatte er dann gesagt, der Arzt müsse es wegmachen?
Bekam man ein Kind, wenn man seinen Vater verrückt machte? Hatte ich ihn verrückt gemacht? Aber ich wollte ihn doch gar nicht verrückt machen. Ich wollte auch kein Kind. Warum tat mein Körper immer, was ich nicht wollte? Hatte ich mir dieses Kind vielleicht selbst zuzuschreiben? War es meine Schuld? Immer wieder: meine Schuld!
Als mein Vater abends von der Arbeit nach Hause kam, war die Wohnung so sauber wie selten. »Da wird Mama sich aber freuen«, meinte er. »Du verwöhnst sie ja richtig. Wenn ich das erzähle, wird sie gleich schneller gesund!«
»Für diese Schlampe habe ich nicht geputzt!«, wollte ich schreien. »Ich hab’s für dich getan, nur für dich, damit du dich freust und mich lobst und damit du mir sagst, dass ich nicht nur im Bett deine Beste bin!«
Wahrscheinlich hätte ich es so nicht ausdrücken können. Aber es waren meine Gedanken. Doch im Grunde war es ja gleich. Ich hielt den Mund. Nur die Flasche Wein, die ich offen für ihn auf den Tisch gestellt hatte, als Überraschung, die stieß ich um. Aus Versehen natürlich. Dass ausgerechnet die beste Tischdecke meiner Mutter durch Rotweinflecke verhunzt war, war
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