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Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter

Titel: Monika B - Ich bin nicht mehr eure Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jaeckel
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Krankenhaus nach Hause zurückkehrte, flog der Schwindel doch auf. Nicht etwa Tante Inge, nein, Georg brachte den Stein ins Rollen. Er erzählte meiner Mutter, ich sei ebenfalls krank gewesen und Tante Inge habe mich pflegen müssen, weil ich fast verblutet wäre.
    »Verblutet?«, fragte meine Mutter und ließ die Scheibe Brot sinken, die sie meinem Vater soeben mit Teewurst bestreichen wollte. »Wie das?«
    Mein Vater setzte geistesgegenwärtig sein Unschuldsgesicht auf. »Weiß ich, wieso die Alte blutet? Bin ich neuerdings dafür zuständig, wann sie ihre Tage hat?«
    Natürlich war er dafür zuständig. Er war ja bei uns für alles zuständig. Und meine Mutter wusste es ganz genau. Auch ihr zählte er ja im Bad die Monatsbinden ab und tobte, wenn ihre Regel nicht an dem Tag begann, an dem er sie nach seinen Berechnungen erwarten durfte.
    Es wäre so einfach für meine Mutter gewesen, mich selbst zu befragen. Sie saß mir unmittelbar gegenüber. Aber sie fragte mich nichts. War ich Luft für sie, ein Phantom? Oder fragte sie mich nichts, weil sie längst schon genug wusste? Wollte sie nur nichts wissen? Bedeuteten Fragen an mich das Risiko, den Selbstschutz zu gefährden, den die angebliche Unwissenheit ihr gab? Hatte sie Angst, ihr Wissen dann nicht länger hinter Verschweigen verstecken zu können? Angst, reagieren zu müssen?
    Wie so oft war das Verhalten meiner Mutter widersprüchlich. Einerseits rührte sie nicht offen an der Version meines Vaters, andererseits jedoch war ihr Misstrauen geweckt. Argwöhnisch kontrollierte sie an den folgenden Tagen, wie viel Binden ich verbrauchte.
    »Du solltest zum Arzt!«, sagte sie. »Sonst behältst du vielleicht noch bleibende Schäden. Manche kriegen keine Kinder mehr nach so was.«
    Ich fragte nicht, was sie damit meinte. Sie beließ es bei der Andeutung.
    Ein paar Tage später, am Nachmittag, hörte ich, wie sie Tante Inge aushorchte. Wann denn das geschehen sei, die Geschichte mit meinen Blutungen? Wie, mein Vater habe erzählt, ich hätte mich selber verletzt? Windeleinlagen habe sie für mich gekauft, und selbst die waren durchgeblutet ...?
    Am Abend dieses Tages hatte mein Vater nichts mehr zu lachen. Nie zuvor und nie danach machte meine Mutter ihm eine ähnliche Szene. Sie kreischte: »Du Schwein! Du erbärmliches Miststück! Du hast mir versprochen, du machst nichts mit ihr. Nur Spielchen, hast du gesagt, nur ein bisschen Appetit holen, gegessen wird zu Hause. Von wegen! Sie war schwanger, das Drecksweib! Du hast ihr ein Kind gemacht. Du!«
    Klatschende Schläge, ihr immer lauter werdendes Kreischen, dazwischen mein Vater, der sich Gehör zu verschaffen versuchte: »Du spinnst! Ich war’s nicht. Meine eigene Tochter! Unerhört! Die Nachbarn! Halt’s Maul! Wenn das einer mitkriegt!«
    »Wer sonst, wenn nicht du?« Meine Mutter heulte vor Wut. »Glaubst du denn, ich bin blind. Die klebt doch an dir. Die schmeißt sich doch ran an dich. Die macht dir schöne Augen, sonst keinem. Du hast es gemacht. Ich weiß es, du ganz allein!«
    Es polterte, als fielen Möbel um. Schläge und immer wieder Schläge. Wimmern und schließlich das altbekannte Stöhnen. Friede den Dächern, dem Sieger den Kranz – mein Vater hatte es geschafft! Niemals würde auch nur ein Mensch mir glauben.

XXIII
    Die Schwangerschaft ihrer Tochter, die selbst noch ein Kind war, und die Abtreibung schreckten meine Mutter auf. Das Prinzip der drei Affen – nichts sehen, nichts hören, nichts reden – ließ sich nicht mehr beibehalten. Wieder einmal war der äußere Schein von Ordnung und Wohlanständigkeit bedroht, begann die Welt, die sie sich aufgebaut hatte, zu wanken. Mit letzter Energie fing meine Mutter noch einmal an, für die Illusion der heilen Familie zu kämpfen.
    Es ist bezeichnend für ihre absolute Abhängigkeit von meinem Vater, dass sie nicht in der Lage war, ihn als wahren Schuldigen anzuprangern, obwohl sie in ihrem Innersten längst wusste, dass er es war, der mich geschwängert hatte. Zu keiner Sekunde gestand sie sich ein, dass dieser Mann keinen Deut besser war als seinerzeit ihr Vater und dass er ihr nicht die Liebe schenkte, von der sie träumte. Sie wollte, dass er der beste Vater und Ehemann war, den die Welt zu bieten hatte. Sie wollte, dass ihre Familie eine wahre Traumfamilie sei. Und jeder, der diese Traumfamilie gefährdete, war ein Feind.
    Feind Nummer eins war ich, war es immer schon gewesen. Mein Vater liebte mich – das war in den Augen meiner Mutter schon

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