Monkeewrench 02 - Der Koeder
Neureichen.
Harley war einer dieser erst vor kurzer Zeit zu Reichtum gekommenen Hausbesitzer an der Summit Avenue, und einige seiner erzkonservativen Nachbarn betrachteten ihn mit Abscheu. An milden Abenden stapfte er oft durch die Straßen, ein riesiger, muskulöser Mann in Leder und Motorradstiefeln, dessen schwarzer Vollbart und Pferdeschwanz im Rhythmus seiner gewichtigen Schritte hüpften. Seine Erscheinung flößte den Anwohnern Furcht ein, und das, bevor sie ihm nahe genug gekommen waren, um seine Tätowierungen zu sehen.
Sein Haus war eine mit Türmchen verzierte Monstrosität aus rotem Sandstein, umgeben von einem hohen schmiedeeisernen Zaun mit Spitzen, die groß genug waren, um einen Elefantenbullen zu durchbohren. Betrat man jedoch das Haus durch die wuchtigen Eingangstüren, kam man sich vor wie in einem bayerischen Schloss aus einem der Märchen der Brüder Grimm. Tausend Quadratmeter vollgestellt mit importierten Kronleuchtern aus Kristall, exquisite antike Möbel, die genauso überdimensioniert waren wie der Mann, der sie besaß, und dunkles, handgeschnitztes Holz aus einer vergangenen Epoche, das so glänzte wie «die Augen einer spanischen Hure». So wenigstens formulierte es Harley, was zudem erklärte, warum die Nachbarn an seiner Gegenwart Anstoß nahmen. Er besaß eine Musikanlage, die das gesamte Haus beschallte und deren Sound einem die Schuhe auszog. Ohne Unterbrechung spielte er entweder Hardrock oder Opernmusik, je nachdem, ob er allein war oder nicht, denn manchmal brachte Opernmusik Harley zum Weinen.
Im vergangenen Oktober, nach dem Blutbad im Loftbüro von Monkeewrench, waren sie mit ihrer Firma zeitweilig in Harleys dritte Etage umgezogen, während sie an FLEE arbeiteten. Bis zu dem Tag vor einer Woche, als Annie nach Arizona abgereist war, hatte er Grace, Annie und Roadrunner fast sechs Monate lang Tag für Tag in seinem Haus zu Gast gehabt, und jetzt drängte er darauf, die Übergangslösung in eine ständige Einrichtung umzuwandeln. Auch nachdem sie abends alle gegangen waren, schienen ihr Geruch und ihre Stimmen noch in dem großen alten Haus zu verweilen und vermittelten das Gefühl, als wohnte hier eine echte Familie. Harley mochte dies Gefühl sehr gern.
Heute Abend befand er sich mit Roadrunner in der Remise – einem zweigeschossigen Wunderwerk mit gepflastertem Boden und Eichentäfelung, die bis hinauf in das kathedralenhafte Deckengewölbe reichte. Auch hier gab es Kristalllüster, was Roadrunner für geradezu lächerlich übertrieben hielt. Außerdem trauerte er den Pferdeboxen und den Wohnungen der Stallburschen im ersten Stock nach, die es hier noch gegeben hatte, als Harley das Anwesen gekauft hatte.
Der riesige Raum, in dem einst Kutschen, einspännige Schlitten und Zugpferde untergebracht worden waren, beherbergte im Augenblick Pferdestärken ganz anderer Art. Das Wohnmobil war nach Abschluss der eigens für ihn ausgeführten Um- und Ausbauten heute geliefert worden. Es war ein silbernes Ungeheuer mit Rauchglasscheiben, und es wirkte hier völlig fehl am Platze.
«Sieht aus wie ein Bus.» Roadrunner stand vor dem Fahrzeug, die Spinnenarme in die Seite gestemmt, die Augen fast auf gleicher Höhe mit der ausladenden Windschutzscheibe, die sich gut zwei Meter über dem Boden befand. Er war trainingshalber auf seinem alten Rad mit der Zehn-Gang-Schaltung aus Minneapolis hergekommen und trug wie jeden Tag seine Radfahrerkluft – heute Abend war es ein schwarzes Dress, denn er hatte damit gerechnet, dass Schmutzarbeit auf ihn zukam.
«Es ist kein Bus. Also nenn es auch nicht Bus. Es handelt sich um ein Wohnmobil der Luxusklasse, und sein Name lautet Chariot: Triumphwagen.»
Roadrunner verdrehte die Augen. «Warum musst du leblosen Objekten ständig Namen geben? Ich hasse das. Alles, von deinem Haus bis zu deinem Schwanz.»
«Mein Schwanz ist nicht leblos.»
«Sagst du. Aber wenn du schon deine Freizeit damit verbringst, dir Namen auszudenken, dann lass dir doch mal einen neuen für unsere Firma einfallen.»
«Seit über sechs Monaten zermartere ich mir das Hirn. Wie kann man Monkeewrench überhaupt umbenennen? Das ist wie ein… Sakrileg oder so.»
«Ja, ich weiß. Als wenn man einem zehnjährigen Kind einen neuen Namen gibt.»
«Genau.»
«Aber es muss sein.»
«Nehme ich auch an.»
Keiner von ihnen war glücklich über die Änderung des Firmennamens. Mehr als zehn Jahre waren sie Monkeewrench gewesen, und dieser Name war zum Bestandteil ihrer jeweiligen
Weitere Kostenlose Bücher