Monkeewrench - 02 - Der Köder
Elend. Anant ist richtig schlecht drauf. Bei ihm läuft so eine Ehrfurcht-vor-dem-Alter-Chose ab. Das ist auch nicht gerade hilfreich. Ist das 'ne Hindu-Sache?»
«Nein, eine Sache des Anstands», sagte Gino.
«Na ja, was immer es ist, ich glaube, es steigert sich bei ihm, und ich kann euch sagen, wie dieser Widerling alte Leute ausknipst, das geht sogar mir an die Nieren. Ich komme in diese Häuser und sehe rundherum Bilder von Enkelkindern und Medizinfläschchen und Medicare-Rechnungen, und dann sehe ich die Wohnung meiner Eltern vor mir, versteht ihr? Ich meine, diese Leute standen am Ende ihres Lebens, versuchten nur durchzukommen… es ist einfach unbegreiflich. Und dieser Fall ist bislang der schlimmste.»
Gino schüttelte den Kopf. «Kann gar nicht schlimmer sein als Rose Kleber. Ich sehe das Schild GRANDMA'S GARDEN in meinen Träumen vor mir, das und den Teller mit Keksen, die sie für ihre Enkelinnen gebacken hatte.»
Jimmy sah ihn an. «Ich glaube, er hat sich einen von diesen Keksen genommen.»
Magozzi hakte sofort ein. «Im Bericht habe ich das aber nicht gelesen.»
«Ich hab's auch nicht reingeschrieben. Reine Vermutung. Unzulässig und ohne Beweiskraft. Sie hatte sie akkurat angeordnet und mit Plastikfolie abgedeckt, aber die war an einer Seite angehoben worden, und wo ein Keks hätte liegen sollen, war eine leere Stelle. Ich habe vor meinem geistigen Auge gesehen, wie dieser Schweinehund eine alte Frau umbringt und sich auf dem Weg nach draußen einen Keks klaut, den sie gebacken hat.» Er versuchte ein schwaches Lächeln. «Das macht einen nach einer Weile fertig, oder? Und hier ist es die volle Härte. Ben Schuler wusste, was ihn erwartete, und er muss vor Angst fast verrückt geworden sein. Sieht so aus, als hätte der Killer eine Zeit lang mit ihm sein Spiel getrieben, ihn vielleicht durch die Wohnung gejagt, mit ihm geredet, ich weiß nicht. Der arme alte Mann ist durch das ganze verdammte Schlafzimmer gekrochen und hat versucht zu entkommen. Das ist das Bild, das ich aus diesem Haus mitnehme.»
Gino sah ihn ungehalten an, weil es ihm schwer fiel, die Vorstellung auszulöschen, die Jimmy Grimm ihm soeben in den Kopf gesetzt hatte. Er machte sich stets sein eigenes Bild, wenn er den Schauplatz eines Verbrechens betrat, und der Trick bestand darin, alles in sich aufzunehmen, die Einzelheiten herauszufiltern und dann den Rest wieder zu vergessen. Es führte zu Depressionen, wenn man zu viel Zeit damit verbrachte, an den Bildern von winselnden alten Männern hängen zu bleiben, die vor einem Killer davonkrochen, es machte das Hirn zu Brei, und am Ende war man nicht mehr in der Lage, seinen Job zu tun. Grimm wusste das sehr wohl, verdammt. «Mann, Grimm, du hörst dich langsam an wie 'n Frauenfilm. Willst du umsatteln und Politesse werden, oder was?»
«Im Augenblick klingt das ganz verlockend.» Er ging den Flur hinunter. «Bleibt direkt hinter mir. Wir haben einen Zugang klar gemacht, für mehr hatten wir bisher noch keine Zeit. Anant möchte, dass ihr einen Blick auf den Tatort werft, bevor wir anfangen, Fotos zu machen, Fingerabdrücke zu nehmen und Beweismittel einzupacken.»
Altersschwache Fußbodenbretter knarrten unter ihren Füßen, als sie an einer langen Reihe von schwarzweißen Familienfotos vorübergingen, die mindestens fünfzig Jahre alt sein mussten. Auf der Hälfte des Flurs blieben Magozzi und Gino stehen und sahen zurück auf die Fotos, an denen sie vorbeigegangen waren, und auf diejenigen, die noch warteten.
Jimmy schaute über die Schulter zurück. «Wieso geht's nicht weiter? Ihr fasst doch nichts an, oder?»
«Klar, wir betatschen sämtliche Wände und verschmieren die Abdrücke», knurrte Gino unwirsch. «Mann, Grimm, entspann dich. Was hat es mit diesen Fotos auf sich? So was Irres habe ich ja noch nie gesehen.»
Jimmy kam zu ihnen zurück. «Schrecklich, nicht? Es sind alles Abzüge ein und desselben Bildes. Insgesamt sechzig. Sein Freund… der alte Typ, der ihn gefunden hat?»
«Sol Biederman.»
«Genau der. Er war noch hier, als ich angekommen bin. Er hat gesagt, das sei das einzige Foto, das Ben Schuler von seiner Familie besaß. Seine Eltern, er und seine kleine Schwester. Offenbar ließ er jedes Jahr einen neuen Abzug davon rahmen.»
«Hat er gesagt, warum?»
Jimmy zuckte mit den Achseln. «Sie starben im KZ, er nicht. Schuldgefühle eines Überlebenden, Andenken an die Toten, wer weiß?»
«Ben Schuler war im Konzentrationslager?», fragte
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