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Monkeewrench 03 - Mortifer

Monkeewrench 03 - Mortifer

Titel: Monkeewrench 03 - Mortifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.J. Tracy
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gleich; sie nach Namen zu unterscheiden machte ihrer Meinung nach keinen Sinn – und hatte mit unerschrockenem Staunen zugesehen, wie sich eine alterslose, abgerissen aussehende Kreatur eine Nadel in den Arm geschoben hatte. Ungeachtet ihres Ein-Personen-Publikums vollführte die Frau vor Grace’ neugierigem Kinderblick ihren selbstzerstörerischen Akt, um irgendwann den glasigen Blick zu heben. »Hey, Kleine!«, sagte sie. »Was zum Teufel machst du hier? Hast du dich verlaufen, oder was?«
    Damals hatte Grace es für eine merkwürdige Frage gehalten. Wie konnte sie sich verlaufen haben? Sie stand doch hier. Selbst damals, in einer Stadt ohne Namen, in einer dunklen Gasse ohne Hoffnung hatte Grace nicht eine Spur von jener bevorstehenden Panik gespürt, die andere Leute in einer ihnen nicht vertrauten Umgebung entwickelten oder dann, wenn sie nicht mehr genau wussten, wo sie waren. Man war schließlich immer irgendwo, richtig?
    Folgerichtig begriff Grace die Besorgnis nicht, die sich in Annies Stimme schlich, während sie tiefer und tiefer in das Labyrinth aus verschlungenen, leeren Countystraßen vordrangen, die sich durch den Norden Wisconsins wanden. »Wir haben uns nicht verirrt, Annie. Wir fahren nur einen Umweg.«
    »Das hat Hänsel zu Gretel auch gesagt«, entgegnete Annie missmutig. »Es ist jetzt ungefähr eine Stunde her, seitdem wir auf diese Nebenstraße abgebogen sind, um uns die alberne alte Scheune anzusehen, die nebenbei so ziemlich das letzte Zeichen von Zivilisation gewesen ist, das ich seitdem gesehen habe. Gott weiß, wo wir jetzt sind!«
    »Mea culpa.« Sharon zuckte verlegen die Schultern. »Mein Fehler.«
    »Ach, Honey, entschuldige dich nicht. Diese Scheune war das Erstaunlichste, was ich seit dem Tag gesehen habe, als Roadrunner sein Hemd ausgezogen hat. Ich wusste nur nicht, dass sie gleichzeitig das Tor zur Hölle war.«
    Annie blickte nach vorn in den Tunnel aus Weymouthkiefern, die sich bis an den Asphalt drängten wie schweigende Zuschauer bei einer Parade. Die dicken Stämme schienen das Licht zu verschlucken und boten nur hin und wieder stroboskopartige Einblicke auf das, was zwischen ihnen verborgen lag. Sie hatte keine Ahnung, was dort draußen in den sich bewegenden Schatten lauerte, doch sie war ziemlich sicher, dass es etwas Unangenehmes war. »Das ist absolut die unheimlichste Gegend, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Ich hab noch von keiner berühmten Persönlichkeit gehört, die aus Wisconsin gekommen wäre, und jetzt kenne ich auch den Grund dafür. Hier lebt einfach niemand!«
    Sharon drehte sich auf dem Beifahrersitz um und senkte ihren Kopf, sodass sie Annie über ihre Sonnenbrille hinweg angucken konnte und diese nicht orange aussah. »Ed Gein war berühmt. Er hat hier gelebt.«
    »Nie von ihm gehört.«
    »Er hat Leute umgebracht, sie ausgenommen und aufgegessen.«
    »Hmmmph. Na ja, offensichtlich hat er hier alle aufgegessen.«
    Sharon lächelte sie an, und die Muskeln ließen die kleine runde Narbe an ihrem Hals hervortreten. Jedes Mal, wenn Annie die Narbe bemerkte, musste sie an die große Blutlache auf dem Boden des alten Monkeewrench-Firmengebäudes denken, eine verschmierte Spur, die verriet, wohin Sharon auf dem Bauch gekrochen war, die Treppe hinauf, um Grace zu retten.
    »Hier oben leben nicht viele Menschen«, sagte Sharon. »Hier gibt es hauptsächlich staatliche Forstgebiete, und so hoch im Norden nehmen sie scheinbar kein Ende.«
    »Wo wir gerade von Norden reden – ich hab den kleinen Kompass hier auf dem Armaturenbrett im Auge behalten. Er zeigt seit einer Ewigkeit nach Norden, und ich glaube einfach nicht, dass Wisconsin so groß ist. Vielleicht sollten wir bei der nächsten Straßenkreuzung nach rechts abbiegen, bevor wir am Nordpol landen.«
    »Sieht aus, als würden wir bald eine Chance dazu bekommen«, sagte Grace und nickte mit dem Kopf in Richtung eines kleinen Schildes auf der rechten Straßenseite, auf dem zu lesen stand: »Four Corners → 3 km«.
    »Gelobt sei Jesus Christus«, seufzte Annie erleichtert. »Zurück in der Zivilisation.« Sie fuhr sich über ihren Bob, der im Verlauf des letzten Jahres zu ihrem Markenzeichen geworden war, dann angelte sie eine Puderdose und eine Tube Lipgloss aus ihrer Handtasche. Nach allem, was sie im »Holy Cow Diner« gesehen hatte, gab es in Wisconsin mehr als nur ein paar Frauen, die ähnlich gebaut waren wie sie, doch sie wussten anscheinend einen Dreck darüber, wie man sich zurechtmachte.

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