Monkeewrench - 03 - Mortifer
leuchtete mit der Taschenlampe an ihrem ruinierten Achttausend-Dollar-Kleid herunter und seufzte. »Ich hab einen BH.«
»Das ist das Gleiche. Hier, steck ein paar davon ein.« Sie reichte Annie zwei alte Colaflaschen, und Annie suchte nach einem geeigneten Platz, um sie zu verstauen.
»Wahrscheinlich würde man bei Ebay richtig Geld dafür kriegen.«
»Was denn? Für die Flaschen – oder deine Titten?«, fragte Sharon, um sich in der gleichen Sekunde erschrocken die Hand vor den Mund zu schlagen. Gütiger Gott. Hatte sie das tatsächlich gesagt? Tausend Leute würden sterben, der arme Deputy Lee war bereits tot, und sie machte nur Minuten später schon dumme Witze? Was war sie nur für ein Mensch!
Annie hatte sich ebenfalls die Hand vor den Mund geschlagen, allerdings um ihr Lachen zu dämpfen, doch es kam in kleinen, glucksenden Stößen zwischen den Fingern hervor. Nicht lustig, überhaupt nicht lustig, nichts von alledem ist lustig, sagte sie sich ununterbrochen, doch nachdem sie erst einmal angefangen hatte zu kichern, konnte sie damit offensichtlich nicht mehr aufhören. Es half nicht gerade, dass auch Grace lachte. Grace lachte kaum jemals. Es war geradezu beängstigend. Unheimlich. »Ach du lieber Gott!«, ächzte Annie schließlich. »Wir werden hysterisch.«
Und dann musste Sharon ebenfalls lachen, weil sie hysterische Frauen gesehen hatte und dies hier eindeutig keine Hysterie war. Hysterie war, wenn die eigene Mutter splitternackt durch das Haus rannte und aus Leibeskräften händeringend kreischte, sich kurz auf diesen und jenen Stuhl setzte, bis der Stuhl, auf dem sie sich schließlich niederließ, der Stuhl hinter dem Schreibtisch war, dem Schreibtisch mit der großen, hässlichen Pistole in der mittleren Schublade. Das war hysterisch. Und die zehnjährige Tochter, die zusammengekauert am Boden hockte und mit den Beinen strampelte, sich eng an die Wand drückte, als wollte sie in ihr verschwinden, den Mund weit aufgerissen zu einem lautlosen Schrei, die Augen auf die Mutter geheftet und auf das Blut und die graue Gehirnmasse, die langsam an der Fensterscheibe hinter dem Schreibtisch herunterrutschte. Das war ebenfalls hysterisch. Aber nicht das hier.
Sharon atmete tief durch und verbannte den Gedanken aus ihrem Kopf. Verdrängung, dachte sie, war ein Verteidigungsmechanismus des Körpers gegen Stress. Menschen lachten bei Beerdigungen. Katzen unterbrachen ihren Kampf und fingen an, sich zu lecken. Katzen leckten sich. Menschen lachten.
Annie und Grace stießen die letzten, zittrigen, ersterbenden Lacher aus, ließen alles heraus, und dann reichte Grace den beiden anderen wieder Flaschen, und es war, als wäre es nie passiert.
Sie stiegen die Treppe hinauf, um das Haus durch die Vordertür zu verlassen, nicht durch die Sturmtür hinter dem Haus, durch die sie hereingekommen waren. Hinter dieser Tür, im Wald, war irgendwo der gegnerische Kordon, viel näher, als sie ursprünglich angenommen hatten. Deputy Lee hatte es ihnen gezeigt. Die Chance, dass sie gesehen wurden, war geringer, wenn sie die Häuser und die Bäume als Schutz zwischen sich und dem Gegner hatten.
Grace ging voran. Sie leuchtete mit der Taschenlampe auf die Stufen, was das Hinaufsteigen erleichterte.
Es ist die Taschenlampe, dachte Sharon, während sie Grace folgte. Wer auch immer die Taschenlampe hat, ist automatisch der Anführer, als wäre es eine Art königliches Zepter, noch mächtiger als eine Pistole. Aber nur in der Bibel, dachte sie ironisch.
In der fiebrig eifernden Religion, die ihre Mutter praktiziert hatte, waren Pflugscharen mächtiger als Schwerter, und Dinge wie Licht und Erbarmen und Mitgefühl gewannen stets über die Waffen, die von Menschenhand kreiert und daher als minderwertig einzustufen waren. Wie beispielsweise Atombomben. Gottes Schwert wird niemals unterliegen, Sharon. Die Waffen der Menschen sind erbärmlich im Angesicht von Gottes Wort … Doch am Ende war es keine Bibel gewesen, die ihre Mutter sich in den Mund gesteckt hatte, um sich das Gehirn wegzublasen, oder?
»Wartet mal«, flüsterte sie, als ihr etwas einfiel, während Grace Anstalten machte, die Tür zu öffnen, die ins Erdgeschoss führte. »Wir haben kein Feuerzeug und auch keine Streichhölzer!«
»Streichhölzer gibt es in der Ladentheke der Tankstelle«, sagte Grace.
Himmel, dachte Sharon. Ihr entgeht nichts. Nicht die winzigste Kleinigkeit. Und sie vergisst niemals etwas. Wie ein absolut herausragender Cop. Sie hat all die
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