Monkeewrench 04 - Memento
keiner so genau. Nach allem, was die alten Leutchen so erzählen, war er ein hundsgemeines, faules, trunksüchtiges Arschloch, und ein Hurenbock noch dazu.»
Stirnrunzelnd versuchte Iris sich zu erinnern, ob Hurenbock jetzt die Bezeichnung für einen Zuhälter oder einen Freier war. Wer verwendete heutzutage denn noch solche Wörter? «Er hat die Kühe verhungern und die paar Früchte auf dem Feld verdorren lassen», erzählte Sampson weiter. «Das Land hat er einfach verkauft, Stück für Stück, um seine Laster zu finanzieren - dabei gehörte es gar nicht ihm, sondern Emily. Eines Tages war er dann plötzlich verschwunden. Manche Leute vermuten, dass er einfach in der Nacht besoffen in den Wald gelaufen und durch eigene Blödheit umgekommen ist. Andere glauben, Emily hatte irgendwann die Nase voll, hat den Mistkerl umgebracht und ihn irgendwo auf dem Grundstück verscharrt. Um die Zeit hat das mit den Geistergeschichten angefangen.»
Iris sah ihn traurig an. «Er wird sie einfach verlassen haben. Das tun Männer manchmal.» Sie errötete ein wenig. Der Bezirk war ein Dorf, mochte er auch noch so weitläufig sein, und natürlich wusste auch Sampson, was ihr passiert war. Jetzt musterte er sie eingehend.
«Nicht alle Männer.»
«Hm. Das ist Ihre Meinung.»
Mit einem leichten Lächeln stand er auf. «Ich sage immer nur meine Meinung, Sheriff.»
Als Iris eine halbe Stunde später das Büro verließ, überzog bereits eine heimtückische Mischung aus Graupel und Schnee die Straßen mit einer Lackschicht, und die schneebeladenen Bäume schienen unter der zusätzlichen Eislast schier zusammenzubrechen. So schnell, wie sich die Wetterbedingungen verschlechterten, würde Dundas County sich bis zum nächsten Morgen in eine einzige große Eishockeybahn verwandelt haben. Sampson hatte ganz recht behalten mit dem Eissturm.
Als sie schließlich in die kurvige Landstraße einbog, die sie nach Hause bringen würde, zeigte ihr Tachometer kaum noch eine Geschwindigkeit an, und ihre Hände waren schweißnass in den Handschuhen. Seit einer Viertelstunde hatte sie keine anderen Scheinwerfer mehr gesehen, und es kam ihr vor, als würde die vollkommene Dunkelheit dieser fremden Welt ohne Straßenbeleuchtung sie ganz und gar verschlingen. Bei solchen einsamen Fahrten im Dunkeln zweifelte sie immer wieder daran, dass sie sich jemals an das Landleben gewöhnen würde.
Die einzige Person auf Erden, die sie als Freundin betrachtete, war entsetzt gewesen, als sie hörte, dass Iris soweit nach Norden ziehen wollte - oder, wie sie es ausdrückte: «ins weltweite Zentrum der kulturellen Wüste, so weit weg von aller Hilfe im Notfall wie nur irgendwie möglich. Ich war auch schon auf dem Land, und ich kann dir sagen: Es ist dunkel und gefährlich, und kein Mensch lebt dort.»
Bei diesem Gedanken musste Iris lächeln, bis er schließlich durch die Erkenntnis getrübt wurde, was für ein Schaf sie damals gewesen war, ihrem künftig treulosen Ehemann aufs Land zu folgen, nur weil seine kindischen Träume so viel größer waren als irgendein anderer Teil seines Körpers, Hirn inklusive. Und natürlich hatte ihre Freundin in allem recht behalten, ganz besonders, was die Dunkelheit betraf.
In den ersten Wochen nach dem Auszug ihres Mannes war sie jedes Mal fast gestorben vor Angst, wenn sie nachts in ihre Einfahrt einbog und plötzlich die gruselige alte Scheune aus der Schwärze vor ihr auftauchte, in der sich ganze Horden von Eindringlingen mit allen möglichen bösen Absichten verbergen konnten. Es hatte eine Weile gedauert, bis ihr klar geworden war, dass sich hier draußen im Normalfall keine Eindringlinge herumtrieben und dass eine allein lebende Frau auf dem Land sehr viel sicherer war als noch im schönsten Viertel der Twin Citys, trotz aller großartigen Straßenbeleuchtung. Und obwohl Verstand und Logik ihr sagten, dass dem tatsächlich so war, erschien ihr manches - beispielsweise ein offenes Scheunentor - immer noch vage bedrohlich.
Heute war sie nur erleichtert, als sie in ihre baumbestandene Einfahrt fuhr, vorbei an der riesigen Scheune, deren Tor jetzt Gott sei Dank geschlossen war, und vor bis zum Haus. Mit einem tiefen Seufzer sammelte sie ihre Sachen zusammen und konnte sich nicht genug darüber wundern, dass sie an einem Tag zwei todesmutige Autofahrten hinter sich gebracht hatte, ohne ein einziges Mal im Graben zu landen.
Sie war schon fast am Haus, als sie die Fußspuren bemerkte. Sie waren teilweise von Neuschnee
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