Monkeewrench 06 - Todesnaehe
ins Zimmer und hielt die Taschenlampe dabei mehr auf sein eigenes Gesicht als auf die Mädchen gerichtet. Sie sollten sehen, dass sich hinter dem Lichtstrahl, der sie blendete, kein gesichtsloses Monster verbarg – sie hatten in der vorangegangenen Woche sicher mehr als genug Monster gesehen.
«Hallo. Ich heiße Bully. Ich bin Polizist. Jetzt wird alles gut.» Er hockte sich vor eines der Mädchen hin, das noch ein richtiges Kind war, und lächelte freundlich. «Wie heißt du denn?»
Das Mädchen wich ein wenig zurück, doch die angstvoll geweiteten Augen blickten ein wenig klarer.
«Darf ich dir die Plastikschnur von den Händen machen?»
Sie nickte misstrauisch, dann fing sie an zu weinen. Bully spürte einen Kloß im Hals und schluckte schwer, während er mit seinem Taschenmesser die starre weiße Schnur löste, die ihr in die Handgelenke schnitt. Dann machte er einen Schritt zurück, um sie nicht zu bedrängen.
Sie wischte sich Augen und Nase und sah zu ihm auf. «Ich heiße Taka», stieß sie schließlich hervor. «Sind Sie hier, um uns zu retten?»
Er räusperte sich, versuchte zu antworten, aber dann brachte er nur ein Nicken zustande.
KAPITEL 7
D er Elbow Lake lag ruhig da an diesem milden Sonntagmorgen, die spiegelglatte Oberfläche funkelte in der aufgehenden Sonne wie rosafarbene Diamanten. Es war die stille Stunde, in der sich nur das Wasser zu Wort meldete, das mit leisem Gurgeln die Welt ringsum sanft aus dem Schlaf holte.
Ein v-förmiger Schwarm von Gänsen zerriss als Erstes die morgendliche Stille mit seinem Geschrei; sie waren auf der Suche nach einem Rastplatz, um die Flügel hochzulegen, nachdem sie auf dem Weg nach Süden die ganze Nacht durchgeflogen waren. Von der Spider Bay her ließ sich der durchdringende Ruf eines Seetauchers vernehmen, der seine Gefährten aufforderte, es den Gänsen gleichzutun, bevor das Wetter umschlug.
Es war der einzige Ort im Reservat, den Chief Bellanger aufsuchen konnte, wenn die Welt ihm wieder einmal auch noch den letzten Frieden zu rauben drohte.
Das war wohl das Schlimmste an seinem Posten als Chef der Stammespolizei. Die schlechten Nachrichten erhielt er immer schon viel früher als die anderen, und das machte ungeheuer einsam. An diesem Morgen war der erste Anruf von «Bully» Bad Heart Bull gekommen. Sie standen sich nicht sonderlich nahe, doch der Chief hatte ihm seinerzeit einen Praktikumsplatz bei der Stammespolizei verschafft, nachdem ihm wegen eines Hautleidens jegliche militärische Laufbahn verschlossen geblieben war. Bully war damals noch ein tollpatschiger, hochaufgeschossener Junge, der unter heftiger Akne litt und kurz vor dem Selbstmord stand, weil er nicht wie all seine Freunde zum Militär gehen und als moderner Krieger für sein Volk und sein Land kämpfen durfte.
Ein Jahr später war die Akne verschwunden, Bully hatte einiges zugelegt und Polizeierfahrung gesammelt, und das MPD in Minneapolis war bereit, es mit ihm zu probieren. Als Indianer war er prädestiniert, sich um die Stammesbrüder in der Innenstadt zu kümmern, und so arbeitete er bis heute dort. Und er hatte nicht vergessen, dass er seine Karriere letztlich dem Chief verdankte. Daher auch der Anruf. Der nur leider keine guten Nachrichten enthielt.
Ich habe eben eins der entführten Mädchen aus Sand Lake gefunden, Chief. Aimee Sergeant. Sie wurde ermordet.
Der Chief hatte die Augen geschlossen und den Hörer fester umklammert, während er sich die scheußlichen Einzelheiten anhörte.
Hast du schon in Sand Lake angerufen?
Das übernimmt das
FBI und das
MPD . Sie haben es nicht gern, wenn ein Streifenpolizist solche Nachrichten überbringt. Aber mir ist wieder eingefallen, dass Sie den Häuptling von Sand Lake ganz gut kennen. Vielleicht wollen Sie ihn ja anrufen.
Danke, Bully.
Noch was. Die Spurensicherung glaubt, dass Aimee versucht hat zu fliehen, um die anderen zu retten.
Eine junge Kriegerin.
Ja. Vielleicht ein kleiner Trost für Sand Lake.
Und so hatte der Chief seinen Kondolenzanruf hinter sich gebracht und war dann an den See gefahren. Hier kam ihm das Leben nicht ganz so sinnentleert vor, wie es die Tatsache, dass ein junges Mädchen sein Leben auf einem verlassenen Grundstück beenden musste, erscheinen ließ.
Sein Kanu glitt geräuschlos über das Wasser, dicht am von hohen Gräsern bestandenen Ufer entlang. Zufrieden registrierte er, dass viele der Samenkapseln bereits dick waren vom wilden Reis. Noch eine Woche, dann waren sie erntereif, und er
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