Monkeewrench 06 - Todesnaehe
sich geweigert, eine unberechtigte Niederlage zu akzeptieren, nicht bereit, das Falsche einfach so hinzunehmen, ohne sich für das Richtige einzusetzen. Und Joe hatte sich geschworen, immer ebenso zu handeln.
Ich bin das, was wir mal waren.
Vor dem kleinen dunklen, baufälligen Haus musste er sich kurz auf den Bordstein setzen, weil er nicht mehr richtig atmen konnte. Absolut idiotisch. Man atmete schließlich nicht mit der Bauchspeicheldrüse, und die war es doch, was ihn langsam umbrachte. Trotzdem blieb er einen Augenblick sitzen, die Füße auf den Sandhäufchen, die die Kehrmaschine bei ihrer letzten Durchfahrt im Rinnstein hinterlassen hatte. Er versuchte wieder zu Atem zu kommen, kämpfte die Schmerzen nieder und ging zum hundertsten Mal die Einzelheiten durch, denn das hier musste er um jeden Preis richtig machen, ob er nun atmen konnte oder nicht.
In letzter Zeit dachte er viel an die Zeit in der fernen Wüste, als seine starken, verlässlichen Beine ihn noch von Düne zu Düne trugen, um vor den peitschenden Kugeln Schutz zu suchen. Jetzt, wo seine Lunge kaum noch genug Sauerstoff fand, um das Herz weiterschlagen zu lassen, war selbst das Gehen schon eine übermenschliche Anstrengung.
Er machte das ja keineswegs zum ersten Mal. Sonst hatte er allerdings fast immer Kameraden bei sich gehabt. Nur das letzte Mal und dieses Mal war er ganz auf sich allein gestellt. Aber er stand ja ohnehin schon mit einem Bein im Grab, was sollten dann andere aufrechte Männer ihr Leben in diesem endlosen Kampf riskieren? Dumm nur, dass es offenbar gar keine Rolle spielte, wie viele sie erledigten. Es war wie mit den Kakerlaken: Man tötete eine, und sofort kamen hundert weitere herangekrabbelt, um ihren Platz einzunehmen. Die verflixte Liste wurde länger und länger.
Im Grunde hatte er die Logik der Kriegsmaschinerie nie begriffen. Sechs Jahre lang hatte er jeden verdammten Tag sein Leben aufs Spiel gesetzt, weil seine Vorgesetzten ihm befohlen hatten, ins Ausland zu gehen und die Bösen zu erledigen. Und dann plötzlich, nach Ablauf seiner Dienstzeit, erklärten ihm dieselben Vorgesetzten: So, jetzt fahr mal heim und verhalte dich unauffällig. Und komm um Gottes willen bloß nicht auf die Idee, irgendwelche Bösen zu erledigen, die sich in deinem Land, in deinem eigenen Stadtviertel herumtreiben. Darum kümmern wir uns schon.
Nur kümmerten sie sich eben nicht darum. Sie konnten ja gar nicht alle finden, und wenn sie doch mal den einen oder anderen entdeckten, der etwas im Schilde führte, durften sie nichts gegen ihn unternehmen, ohne vorher mehrere Milliarden rechtlicher Hürden zu überwinden. Und eines schönen Tages würde das einmal zu lange dauern.
Joe wollte sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn das FBI doch irgendwann Wind von der Sache bekam. Wahrscheinlich würde er dann als erster Soldat der Welt posthum unehrenhaft entlassen. Aber darüber machte er sich keine Sorgen. Die Leute, auf die es ankam, würden verstehen, dass er immer nur die Aufgabe erfüllt hatte, für die er ausgebildet worden war. Er hatte sich nur einfach geweigert aufzuhören, als man es von ihm verlangte.
Letztlich lief es dann nicht ganz so ab wie geplant. Die Männer kamen schon aus dem Haus, als er noch auf dem Bordstein saß und ihnen den Rücken zudrehte. Er sah das Licht, das aus der offenen Haustür auf den löchrigen Gehweg fiel und die dürren Grasbüschel neben ihm erleuchtete, und hatte nur einen Gedanken: Was, wenn sie jetzt unbewaffnet sind? Dann würde alles schiefgehen. Alles wäre verloren. Er müsste seine großen Pläne begraben und ein andermal wiederkommen, was das Problem aufwarf, dass er gar nicht wusste, ob es noch ein andermal für ihn geben würde.
Er hörte einen von ihnen rufen, und weil er die Sprache gut genug konnte, verstand er ihn auch: «Hey, wer bist du und was hast du hier zu suchen?» Genau das hätte er auch gefragt, wenn er das zu bewachen hätte, was die da in dem Haus hinter ihm aufbewahrten.
Joe wusste nicht so recht, was er antworten sollte, um die Situation zu retten. Doch dann kam es ihm plötzlich so vor, als säße Grover auf seiner Schulter und flüsterte ihm die richtigen Worte ins Ohr. Er holte tief Luft und rief mit lauter Stimme, in ihrer Sprache und ohne sich umzudrehen: « FBI ! Sie sind verhaftet! Legen Sie sich flach auf den Bauch und falten Sie die Hände über dem Kopf!»
Wahnsinn. Was für eine Drohung! Hütet euch vor dem halbtoten Krebspatienten. Trotzdem
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