Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf
sie Tomates Bauch rieb.
Chloé seufzte zum zweiten Mal an dem Tag. Diese beiden waren wirklich zwei hoffnungslose Fälle.
»Nein«, sagte sie mit einem Anflug von Verzweiflung. »Ich … bin … Chloé … das … ist … Tomate!«
»Du … Chloé? Okay. Okay. Das … Tomate?«
Die Frau nickte schließlich, zum Zeichen, dass sie verstanden hatte, während der Mann begann, Chloés Hand zu schütteln.
»Hallo, Chloé. Ich … bin … Paul.« Er grinste sie an, und sie spürte, wie sie sein Grinsen erwiderte, obwohl sie eher daran gewöhnt war, Wangen zu küssen, als Hände zu schütteln.
»Das … ist … Lorna. Meine … Frau«, fuhr er fort und deutete auf Tomates neue Freundin.
Chloé fragte sich gerade, ob sie mit dieser Unterhaltung noch sehr weit kommen würden, als mit einem Mal das Kreischen von abgenutzten Bremsen ertönte und der klapprige ehemalige Polizeimannschaftswagen ihrer Mutter am Ende der Straße nach Picarets zitternd zum Stehen kam. Maman sprang bei laufendem Motor heraus und rannte über die Hauptstraße auf die Auberge zu. Ihre dicken roten Zöpfe hüpften, als sie die kurze Entfernung bis zum Zaun zurücklegte.
»Mach schon, Chloé, sonst kommst du noch zu spät zur Schule«, rief sie, verstummte aber, als sie bemerkte, dass ihre Tochter nicht allein war.
»Oh, hallo«, sagte sie und kam auf die drei zu. »Tut mir leid. Ich wollte nicht schreien. Sie müssen die neuen Besitzer sein. Ich hoffe, Chloé hat Sie nicht belästigt? Sie kommt immer in ihrer Mittagspause hierher, um die Katze zu füttern. Ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus! Claude vom Maklerbüro hat mir gesagt, dass Sie vorbeischauen wollten, aber ich dachte, sie wären schon längst wieder weg …«
Chloé schaute Paul und Lorna an, als Maman Luft holte. Ihre Gesichter trugen den gleichen verzerrten Ausdruck, den sie schon bei Maman gesehen hatte, wenn diese versuchte, Chloé bei den Mathehausaufgaben zu helfen. Sie benötigten ganz eindeutig Hilfe.
»Du musst langsamer reden, Maman! Die beiden haben einen kleinen Webfehler«, erklärte sie mit leiser Stimme.
»Wie bitte?«
»Na, sie sind wie Gerard Lourde aus der Schule«, sagte sie mit einem Schulterzucken.
»Aber nicht doch, mein Schatz! Sie sind Engländer, das ist alles.«
Chloé war sich nicht ganz sicher, ob dies einen großen Unterschied machte, aber Paul und Lorna hatten das Wort »Engländer« aufgeschnappt und nickten energisch, also lag Maman vielleicht richtig.
»Hallo, ich bin Stephanie. Chloés Mutter«, sagte sie und streckte ihre Hand aus. »Freut … mich … Sie … kennenzulernen.«
Als sie ihre Muttersprache hörte, entspannte sich Lornas Gesicht, und sie lächelte, während sie einander vorstellten. Und ehe sich’s Chloé versah, erklärte Paul ihrer Mutter etwas, das einherging mit einer Menge Gestikulieren undeinem gelegentlichen französischen Wort, und mit einem Mal begriff sie, dass sie selbst das Gesprächsthema war.
»Nein!«, rief sie plötzlich, was Paul mitten im Satz verstummen ließ. »Kein Grund, dir Sorgen zu machen, Maman. Ich bin einfach nur hingefallen, das ist alles«, sagte sie und versuchte die Aufmerksamkeit ihrer Mutter auf sich zu ziehen, weg von Pauls Versuchen, ihr zu erklären, was geschehen war. Er malte mit seinem Finger immer noch Kreise in die Luft, um die Schwere des Sturzes zu verdeutlichen.
»Du bist hingefallen?«, fragte Chloés Maman und kniff die Lippen zusammen. »Nur gefallen? Einfach so? Du hast nicht etwa …?«
»Nein, Maman, hab ich nicht. Ich würde doch nicht … Nein. Ich bin bloß hingefallen, als ich Tomate nachgelaufen bin.«
Stephanie starrte in Chloés Augen, suchte darin nach irgendeinem Zeichen von Unehrlichkeit.
»Du weißt, was ich von deinen Akrobatikübungen halte, Chloé. Ich will nicht, dass du Saltos machst, verstanden?«
Chloé nickte, aber sie verstand ihre Mutter ganz und gar nicht. Es war das Einzige, worin sie streng war, das Einzige, worüber sie beide völlig unterschiedlicher Meinung waren. Und mit der Logik, die sie in neun Jahren auf diesem Planeten erworben hatte, schlug Chloé ihre Saltos eben dort, wo ihre Mutter sie nicht sah: auf dem Rasen der Nachbarn, auf Christians Feldern und im Garten der Auberge . Wie sonst sollte sie ihre Träume verwirklichen?
Zufrieden mit dem, was sie in den Tiefen von Chloés Augen sah, streckte Stephanie die Hand aus und zog ihre Tochter an sich, sodass Chloé nur noch den Duft von Räucherstäbchen und Shampoo und Blumenerde riechen
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