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Monster

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Titel: Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Selbstvertrauen in Person. Charmant, selbstsicher, als ob niemals etwas vorgefallen wäre. Harry nahm das als ein Zeichen, dass sie irgendwo Hilfe gefunden hatte. Wir hörten allerdings nie wieder von ihr, selbst als sie das Stipendium hier an der Case Western erhalten hatte. Ein Jahr später erfuhren wir dann, dass sie eine Stelle in Los Angeles bekommen hatte. Harry sagte: >Claire zieht in den Wilden Westen.< Dennoch nagte die Geschichte ziemlich an ihm. Er überlegte dauernd, ob er nicht heftiger darauf hätte dringen sollen, dass sie sich mit ihren Schuldgefühlen auseinander setzte.«
    »Sie hatte Schuldgefühle wegen etwas, das ihr Bruder getan hatte?«
    »Ungerechtfertigte Schuldgefühle, aber Sie haben Recht, so hat Harry die Situation eingeschätzt. Und mit seinen Einschätzungen lag er so gut wie immer richtig. So wie er die Lage betrachtete, war die Neuropsychologic für Ciaire nur eine Flucht. Tests durchführen, Zahlen auswerten, Laborarbeit - keinerlei Notwendigkeit, sich mit Gefühlen auseinander zu setzen. Er fragte sich, ob sie wohl jemals in ein anderes Gebiet wechseln würde, und jetzt erzählen Sie mir, dass sie es getan hat.«
    »Ihr Bruder starb an einem Hirnschlag«, sagte ich. »Hat ihr Mann jemals Überlegungen angestellt, ob Claires Berufswahl damit zusammenhängen könnte, dass sie eine organische Ursache für die Taten ihres Bruders finden wollte?«
    »Ja, das auch. Aber er machte sich Sorgen darüber, dass ihr emotionaler Schutzschild eines Tages zusammenbrechen würde. Denn sie würde keine einfachen Antworten finden und von daher den Verlust ihrer Illusionen erleiden. Harry war zwar Neuropsychologe, aber darüber hinaus war er auch ein exzellenter Psychotherapeut. Er versuchte seinen Studenten stets zu vermitteln, wie wichtig es ist, das emotionale Gleichgewicht zu bewahren.«
    »Und bei Ciaire stieß er auf taube Ohren.«
    »Zumindest bei der Ciaire, die wir kannten. Sie war so … distanziert. Es schien so, als wollte sie sich selbst bestrafen.«
    »In welcher Hinsicht?«
    »Für sie gab es nichts außer ihrer Arbeit. Kein Vergnügen, kein Spaß. Sie hat keines der Freizeitangebote wahrgenommen, keinerlei Freundschaften mit anderen Studenten geschlossen. Ich möchte wetten, dass sie außer den Essenseinladungen bei uns kaum soziale Kontakte pflegte. Selbst die Art und Weise, wie ihr Zimmer möbliert war, Dr. Delaware. Studentenbuden sind keine Paläste, aber die meisten Studenten bemühen sich, etwas aus dem zu machen, was die Universität ihnen zur Verfügung stellt. Ich erinnere mich noch an einen Abend, als Harry und ich sie nach Hause gefahren haben. Wir waren erschrocken über die Art und Weise, wie sie lebte. Alles, was sie hatte, waren ein Bett, ein Schreibtisch und ein Stuhl. Ich sagte zu Harry, dass es bei ihr aussah wie in einer Gefängniszelle. Er fragte sich, ob sie wohl, wenn auch nur symbolisch, den Versuch machte, das Schicksal ihres Bruders zu teilen.«
     
    Jetzt wusste ich, warum Ciaire sich geweigert hatte, sich mit Joe Stargill über ihre Familie zu unterhalten.
    Jetzt verstand ich, warum sich Rob Ray und Ernestine so bereitwillig von Ciaire aus ihrem Leben hatten ausschließen lassen: aus grenzenloser Scham.
    Egal, was um sie herum passierte …
    Ich hatte überlegt, ob es familiäre Probleme gegeben hatte, doch so weit hatte meine Vorstellungskraft nicht gereicht.
    Wie so viele Menschen, die es sich zur Aufgabe machen, anderen zu helfen, hatte auch Ciaire versucht, sich selbst zu heilen. Zunächst indem sie sich dem Problem aus der Distanz näherte und sich hinter harten Fakten, Zahlenreihen und Laborarbeit versteckte. Indem sie für Myron Theobold arbeitete, einen Mann, der die Psychoanalyse zugunsten eines Doktorgrades in Biochemie aufgegeben hatte. Ich betrachte mich selbst als eine Art ordnende Hand im Hintergrund … ich mische mich nicht in das Privatleben meiner Mitarbeiter ein.
    All die Jahre war sie bei Theobold geblieben, denn er hatte ihr ermöglicht, eine Fremde zu bleiben.
    Bis mit einem Mal eine Veränderung eintrat.
    Professor Racano hatte vermutet, dass eine Flucht in die Arbeit nicht für alle Ewigkeiten funktionieren würde, und er hatte Recht behalten. Letztes Jahr hatte Ciaire sich auf die Suche nach Antworten gemacht - in ihrer typischen akademisch distanzierten Art, indem sie Bibliothekskataloge nach Bluttaten durchforstet hatte, die der ihres Bruders ähnelten.
    Warum ausgerechnet an diesem Punkt ihres Lebens? Vielleicht hatte es etwas

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