Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Monster (German Edition)

Monster (German Edition)

Titel: Monster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Maack
Vom Netzwerk:
dem, was nun herausgekommen sei. Auf seinem weißen Schreibtisch stand ein Briefbeschwerer, eine Doppelhelix aus Blei. Er sagte, dass es ihm leidtäte. Dass es nicht so sei, dass er nicht für seine Angestellten einstünde. Dass er sich hinter einen anderen Angestellten gewiss gestellt hätte. Dass es bei ihm aber verständlicherweise schwerfallen würde. Dass es längerfristig wohl für beide Seiten besser wäre, wenn sie getrennte Wege gingen.
    Der Raum, in dem Benjamin arbeitete, hatte keine Fenster. Um hineinzukommen, musste er durch eine Schleuse gehen, dann durch zwei andere Räume ohne Fenster. Hier stellte er aus Speichel, Blut, Haaren oder ihren Wurzeln, Hautschüppchen, Finger- und Fußnägeln oder Sperma Lösungen in Kolben her. Mit einer Pipette füllte er diese in Hunderte Reagenzgläser, die dann in einen weiteren Raum ohne Fenster weitergereicht wurden.
    Er könne ihn aus arbeitsrechtlichen Gründen natürlich nicht sofort freistellen, erklärte der Leiter des Labors, aber Benjamin solle sich schon einmal darauf vorbereiten, dass er in drei Monaten wieder auf dem freien Arbeitsmarkt wäre.
    Jeden Tag trug Benjamin einen weißen Spezialanzug mit Kapuze, in dem er schwitzte, er trug eine Schutzbrille und einen Mundschutz. Alle trugen das. Manchmal verwechselte er sie, öfter verwechselten sie ihn. Er war irgendwer.
    Er könne natürlich nichts beschönigen, sagte der Leiter des Labors, das wäre ja nicht der Sinn eines Arbeitszeugnisses, das wäre ja auch nicht fair. Nicht gegenüber den anderen Angestellten, den Arbeitssuchenden da draußen, den Arbeitgebern auf dem Markt. Er müsse schon verstehen, dass die Arbeitgeber an einem Strang ziehen müssten. Damit das System nicht kollabiere.
    Mittags gingen alle Labormitarbeiter durch die Schleuse und legten ihre weiße Kleidung ab. Wenn sie gemeinsam zum Mittagessen gingen, sahen sie aus wie für eine Low-Budget-TV-Serie auf außerirdisch geschminkt. Die Schutzbrillen hatten in allen Gesichtern eine geschwungene rote Linie um die Augen hinterlassen.
    Aber sie, sie beide, er, der Leiter des Labors und Benjamin, würden gemeinsam, innerhalb des Möglichen, versteht sich, bestimmt einen Weg finden, dass Benjamin nicht mit nichts dastünde, wenn es an der Zeit wäre, zu gehen. Sie seien ja auch nicht irgendein Unternehmen, und Biologisch-Technische Assistenten würden ja immer gesucht. Jemand, der hier nicht ausreichen würde, könnte ja vielleicht trotzdem in einem kleineren Betrieb eine schöne Karriere machen.
    Benjamin hatte schon lange den Überblick verloren. Er wusste nicht, woher die Nägel, die Haare, das Blut kamen. Er wusste nicht, was mit der Lösung geschah, die er daraus herstellte. Er verbrachte den Tag in seinem Anzug in seinem Raum, nahm Proben an und gab Reagenzgläser weiter.
    »Sie haben die Proben absichtlich verunreinigt«, sagte der Leiter des Labors und versuchte ein unverbindliches Lächeln. »Wie Sie das angestellt haben, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass Sie nicht der Vater von 2164 Kindern sein können.«
     
    »Immer erst umgreifen, dann umsteigen. Das ist das Wichtigste: Umgreifen, umsteigen. Und vor allem: Schön ruhig bleiben. Den letzten Toten gab es hier vor fast hundert Jahren. Wir wollen nicht, dass sich das heute ändert, oder?« Der Führer mit dem authentisch-schmuddeligen Bergmannsoutfit lächelt unter seinem orangefarbenen Plastikhelm.
    Sie steigen hinab.
    Greifen um.
    Den rechten Fuß auf den linken Tritt.
    Umgreifen.
    Den linken Fuß auf den nächsten Tritt, den rechten.
    Ein unbeholfener Schieber mit der fremden Maschine.
    Schweiß bildet sich unter den Achseln.
    Gänsehaut auf den Armen.
    Nach links, nach rechts.
    Nach links, nach rechts.
    Wie beim letzten Tanz auf einem Abschlussball.
    Wie Kathrin und Benjamin auf dem Abschlussball.
    Und dabei immer nach unten.
    Die Maschine, die sogenannte Fahrkunst, bringt die beiden in den Bauch des Berges. Ein großes Rad bewegt zwei gegenläufige Stahlseile auf und ab. Im Abstand von ein paar Metern sind rutschige Holztritte an ihnen befestigt. Wenn sich die Tritte treffen, steigen sie um. 150 Meter tief in den Berg. Schwitzende Wände, die näher kommen, je weiter es hinabgeht. Aufdringliche, schwitzende Wände. Abschlussballwände.
    Zwanzig Minuten dauert der Abstieg.
    Zwanzig Minuten ohne Gedanken.
    Umgreifen, umsteigen.
    Von links nach rechts.
    Von rechts nach links.
    Zwanzig Minuten lang.
    Oder ein paar Sekunden, wenn man loslässt.
    Benjamin stellt sich

Weitere Kostenlose Bücher