Monster (German Edition)
Ameisenhügel herauszuholen, die Benjamin hineingeworfen hatte.
7
»Ah, Sie sind immer noch da, was?«
»Ein halbes Hähnchen mit Kartoffelsalat, bitte.«
»Setzen Sie sich. Na, wie lebt es sich im Brunnerhaus?«
»Wo?«
»Na«, der Alte hustet ein wenig Schwarzbrot in eine Papierserviette mit grünem Schlingpflanzenmuster. »Im alten Haus der Brunners, wo Sie sich einquartiert haben.«
Jeweils zwei Ranken sind zu einem Strang verdreht.
»Ganz gut, danke.«
»Sie sind aber jetzt schon ganz schön lange da, was?«
Von allen Seiten schlingen sie sich in Richtung Serviettenmitte, wo die Faltknicke in einem rechten Winkel aufeinandertreffen.
»Ein paar Tage.«
In der Mitte bilden die Pflanzen gemeinsam einen dichten Kranz weißer Blüten.
»Ist der Mann nicht krank?«
»Ja, er hat ...«
»Was machen Sie denn da in dem Totenhaus? Die Leute im Dorf erzählen sich hier schon so einiges. Wollen Sie ihm die Frau abspenstig machen?«
»Was?«
»Na, dem Kerl die Braut abluchsen.«
»Nein, ich ...«
»Na, Sie haben ja recht. So ein junges Ding soll man nicht allein sitzen lassen. Aber warten Sie man noch, bis er hin ist. Das gebieten uns der liebe Herr Jesus und die heilige Mutter Maria. Fahren Sie noch mal zurück in Ihre Stadt und machen dort, was immer Sie machen. Und wenn er dann gegangen ist, können Sie immer noch einziehen. Nicht dass ich Sie nicht verstehe, ist ja ein flottes Ding. Ich seh sie manchmal hier vorbeimarschieren. Aber die Leute reden.«
»Das tut mir leid, ich möchte hier keinen verärgern. Nur ein paar Tage Urlaub machen.«
»Na dann, machen Se man, kleiner Bruder.«
»Bitte?«
»Benjamin, der kleine Bruder Benjamin.«
»Ach ja.«
»Aber vergessen Sie nicht, wir dulden hier keine Unchristlichkeiten.«
»Nein, ich hatte so was gar nicht ...«
»Jajaja, das hat keiner. Aber Sie haben junges Blut, das weiß nicht immer, was sich gehört. Als ich so alt war wie Sie, hatten wir hier auch so einen, der dachte, er könnte sich die Ehefrauen nehmen. Ein fescher Junge, starke Arme, hat gearbeitet wie ein Ochse und konnte in der Kirche jedes Lied. Eine Stimme zum Hallelujasingen hatte der, das können Sie mir glauben. Am Ende haben sie ihn mit einer Hacke im Kreuz gefunden.«
Er köpft sie alle.
Die Lichtnelken mit ihren fünf herzförmigen Blütenblättern. Die tigergesichtigen Galmeiveilchen.
Er schlägt sie ab.
Dicht ins Gras geduckt, die fransigen Blüten der Frühlingsmieren, die mongoloiden Köpfe der Grasnelken.
Alle auf der Lichtung. Jede Blüte. Jede einzelne.
Hellblau, malve, senfgelb, rosafarbene Blüten. Schwermetallflora, weil der Boden voller Erze ist. Schwermetallflur. Voller Schätze, voller Gifte.
Benjamin köpft sie mit leichter Hand, schlägt locker aus dem Gelenk. Mit dem Ast, mit seinem federnden Wanderstock.
8
Die dicht gewachsenen Baumkronen bilden ein Dach über dem Weg. Die Äste schieben sich ineinander wie nach dem Plan eines Architekten. Wie Gitter. Seit der Nacht haben Kathrin und Benjamin kaum ein Wort gewechselt. »Ah«, hat sie nur gesagt, als er am nächsten Morgen herunterkam, »du bist noch da.« Als wäre es eine Möglichkeit gewesen, dass er geht.
Auf dem Weg ist es dunkel, obwohl die Sonne scheint.
»Ja«, hat er geantwortet.
Moose wuchern feucht glänzend auf dem Boden, überziehen unbeeindruckt umgestürzte Baumstämme und knorrige Wurzeln.
Du möchtest sie über deinem Gesicht auspressen und ihr Wasser auf die Stirn tropfen lassen.
Du möchtest mit der Zunge den Tau aus ihrem feinen Flaum lecken.
Benjamin hat seine Wanderkleidung an. Die Beine der Funktionshose hochgekrempelt. Die intelligenten Fasern geben ihm ein Gefühl, als könne er vollkommen in der Natur aufgehen. Als wäre er ein wildes Tier, das durch das Gestrüpp streift, sich in die Büsche und hohen Sträucher duckt und darüber eins wird mit dem Wald.
Der Wanderweg ist breit. An seinen Rändern ist er mit zwei endlosen Reihen von Steinen befestigt, kleine Schilder mit Hexen, die auf Besen reiten, weisen den Weg, der Bach läuft zahm neben ihm entlang. Er ist heute nicht rot. Kein bisschen. Er kommt aus der Richtung, in die Benjamin geht.
Es ist ein längerer Weg. Nicht um das Dorf herum, sondern auf einen Berg hinauf. »Ein Tagesmarsch.« Die Frau von der Touristeninformation hatte kurz auf Pause gedrückt und ihm erklärt, welchen Schildern er folgen müsse, dann hat sie die Steine weiter fallen lassen. Ein Tagesmarsch. Deshalb hat Benjamin sich Käsebrote
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