Monster (German Edition)
Arsch.«
»Mach ein Video. Mach ein Handyvideo. Hast du dein Handy? Gib her, wir machen ein Video.«
»Hey«, ruft Benjamin mit schwacher Stimme, »ich kann nicht mehr. Könnt ihr mir helfen? Ich habe Sand in den Augen. Hallo. Könnt ihr mir helfen? Könnt ihr wen rufen? Könnt ihr wen anrufen? Könnt ihr mir raushelfen?«
»Wir machen hier gar nichts. Da kann der Sack sich schön selbst rausschleppen.«
»Guck mal, jetzt heult der.«
»Oäh, jetzt kommt er rüber.«
»Wie so’n unheimliches Sumpfding.«
»Ja, genau, voll das Sumpfmonster.«
Mit tauben Fingern greift Benjamin die Leiter und zieht sich raus.
Linker Fuß.
Rechter Fuß.
In fünf oder zehn Jahren werden diese Jungs an den Abend denken und hoffen, dass es dem traurigen Mann von damals gut geht.
Vielleicht auch nicht.
Ausgekühlt und erschöpft von der Todesangst im See liegt Benjamin im Gras, ein schlammüberzogener Körper, der mit tränenden Augen zum Nachthimmel hochschaut. Die Sterne sind keine Punkte in der schwarzen Fläche, sondern weißgelbe Kratzer. Wie Risse in einer Decke, die über allem liegt.
»Lass uns abhauen, bevor das Sumpfmonster Jagd auf uns macht.«
»Der macht gar nichts mehr. Guck mal, den kannst du rumschieben, wie du willst.«
»Ääh, nicht berühren. Danach kannst du deine Sneaker wegwerfen.«
»Sieht überhaupt nicht aus wie’n Typ. Das ist voll eklig. Der sieht aus wie ein wandelnder Haufen Dreck.«
»Ja, genau, der totale Dreckhaufen.«
»Oder wie ’ne Kackwurst.«
»Ja, voll die Riesenkackwurst.«
»Ey, willst du mir die Sneaker versauen, du Kackwurst?«
»Alter, du hast ihm voll eine reingetreten.«
»Ja, du bist voll in die Scheiße getreten.«
»Der hat sich ja kaum bewegt. Den haste ja wohl kaum angetickt. So macht man das.«
10
Flackern.
Nachts in diesem Raum aufwachen, aber das ist nur irgendein Raum. Tags aufwachen, und da ist dieses Gesicht. Ein Kathringesicht. Aber es ist nur irgendein Gesicht. Und ein feuchter Lappen. Es bewegt die Lippen, und der Lappen wischt über deine Stirn.
Aufwachen, und da sitzt die Frau aus dem Touristenbüro. Sie hält deine Hand. Hält sie deine Hand?
Aufwachen, und eine Stimme hören: »Nein, er hat immer noch Fieber. Er spricht nur, wenn er schläft. Wenn er nicht bald ...«
Aufwachen, und es ist Nacht. In die Stille wimmern.
Aufwachen, und den Blick einer Eule auf sich spüren.
Aufwachen, und eine fremde Stimme hören: »... haben ihn einfach so da gefunden. Zum Glück haben die Jungs ihn gefunden. Sonst wäre er wohl an Ort und Stelle erfroren.«
Aufwachen, die verklebten, heißen Augen öffnen, sich an das Zwielicht gewöhnen, und da sitzt das alte Paar aus dem Wald, und die Frau hält einen Strauß Blumen unter deine Nase. Da ist Kathrin. Da sind die beiden Alten, und da ist Kathrin.
»Es ist ja schön, Sie mal kennenzulernen«, sagt die Frau zu Kathrin, »wenn Sie möchten, wenn das hier vorbei ist, dann kommen Sie doch mal mit Ihrem Mann zum Abendessen vorbei. Es ist wirklich sehr gut, wie Sie sich um ihn kümmern. Sie sind sehr gut.«
Flackern.
Flackermomente.
Aufwachen, und da ist Kathrin.
Aufwachen und gewaschen werden.
Aufwachen und frieren.
Aufwachen und schwitzen.
Aufwachen, und deine Eule ruft dich.
Aufwachen, und das Bettlaken wird gewechselt.
Aufwachen, und eine Gummiunterlage wird mit einem rauen Handtuch trockengerieben.
Aufwachen, und es riecht nach Hähnchen.
»Wenn er das nicht essen kann«, versucht der halbtaube Adam zu flüstern, »sollen Sie es haben. Es ist auch ein Schlag Kartoffelsalat dabei. Das hat er immer so genommen.«
Aufwachen mit dem Geschmack von Suppe auf deiner Zunge.
Aufwachen, und Kathrin streicht dir über den Kopf.
Aufwachen, und Kathrin liest dir aus einer Zeitung vor.
Aufwachen und immer wieder Kathrin.
Aufwachen und deine Eule rufen hören. Angst haben, dass du für immer ins Gefängnis kommst. Fest daran glauben, dass du für den Mord an einer Eule aufgeknüpft wirst.
Aufwachen und merken, dass du zu schwach bist zum Reden.
Aufwachen und schreien.
Aufwachen und merken, dass du die Lust zum Reden verloren hast.
Aufwachen, und da ist Josef.
»Bei uns im Berg hatten auch einige von den Jungs so starkes Fieber. Aber machen Sie sich mal keine Sorgen. Die meisten sind wieder auf den Damm gekommen. Und seit dem letzten Mal sieht er doch schon viel besser aus. Kommen Sie doch sonntags mal mit Ihrem Mann in die Kirche. Die vergangenen zwei Wochen haben wir immer für meinen kleinen Bruder
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