Monster Kontrolle
mir doch einfach den Büroschlüssel!«
Auf dem Weg zum Büro kam sie am Kühlraum vorbei. Der Yeti richtete dort eine riesige Schweinerei an, und wahrscheinlich würde sie das dann später wegputzen müssen. Es machte ihr aber nichts aus. Sie konnte die Überstunden gebrauchen.
Das Heft mit den Notfallnummern war ein Spiralblock mit dem Bild eines fröhlichen Schneemanns auf dem Deckel. Sie setzte sich auf den knarrenden Stuhl, legte ihre Füße auf den Schreibtisch und blätterte das Heft durch. Leider war es nicht nach irgendeinem System sortiert, aber sie hatte es auch nicht eilig. Eine Viertelstunde später entschied sie sich für die einzige möglicherweise passende Nummer, hob den Hörer ab und wählte.
Der Anschluss der Tierrettungsstation war automatisiert. Eine aufgezeichnete Stimme informierte sie über die Geschäftszeiten, und sie war nicht besonders überrascht zu entdecken, dass drei Uhr morgens nicht dazugehörte. Beinahe hätte sie schon wieder aufgelegt, doch sie hatte die Wahl zwischen Einer-Stimme-vom-Band-zuhören und Mit-den-Konservenregalen-anfangen. Also war es eigentlich gar keine Wahl.
Nach zwei Minuten unaufhörlichem Geleiere, dem Judy allerdings nur halb zuhörte, wies die Stimme sie an: »Wenn es sich um einen Notfall handelt, drücken Sie bitte die Eins.«
Sie tat es.
Das Telefon klingelte. Sie zählte bis fünfundzwanzig, bevor sie sich mit einem spontanen Schlagzeugsolo unter Zuhilfenahme des Schreibtisches, eines Kulis und eines Bleistifts ablenkte. Gerade hatte sie ihren Rhythmus gefunden, als am anderen Ende jemand abhob.
»Tierrettung. Bitte geben Sie die Art Ihres Notfalls an.«
»Ja, äh, ich weiß, das klingt jetzt ein bisschen komisch, aber wir haben, äh, einen Yeti oder so was, glaube ich, in unserem Laden.« Sie verzog das Gesicht. Sie hätte einfach sagen sollen, es wäre ein großer tollwütiger Hund. Dann hätten sie ihr vielleicht geglaubt. »Ich weiß schon, wie das klingen muss, aber das hier ist kein Scherzanruf, ich schwöre es.«
»Bleiben Sie bitte dran.«
Judy wartete darauf, dass ein Klicken und das Freizeichen das stetige Summen im Hörer ersetzten. Es kam aber nicht. Auf der Uhr an der Wand tickten die Sekunden vorbei. Vielleicht verfolgten sie den Anruf in diesem Moment zurück und schickten einen Sondereinsatzwagen los, um sie zu verhaften. Oder um ihr zumindest eine strenge Standpauke zu halten. Sollten sie doch. Wenn die Cops hier eintrafen, würde sie ihnen einfach den Yeti zeigen, dann war er deren Problem.
»Kryptobiologischer Sicherheits- und Rettungsdienst. Kann ich bitte Ihren Namen erfahren?« Die Frau klang äußerst desinteressiert.
Judy zögerte, dachte sich dann aber, dass das jetzt auch nicht mehr viel ausmachen konnte. »Judy Hines.«
»Und Sie glauben, Sie haben einen Yeti in Ihrem Kühlraum, ist das richtig?«
So langsam verloren die Worte ihre Absurdität.
»Ja, ich glaube schon«, sagte sie, obwohl sie sich nicht mehr ganz so sicher war wie noch vor fünf Minuten.
»Können Sie ihn beschreiben?«
»Er ist groß und weiß und isst den ganzen Eiscreme-Vorrat«, sagte sie.
»Welcher Geschmack?« »Was?«
»Welchen Geschmack scheint er zu bevorzugen? Yetis mögen im Allgemeinen am liebsten Schoko. Wendigos dagegen bevorzugen meiner Erfahrung nach Erdbeer.«
»Was ist ein Wendigo?«, fragte Judy.
»Wie ein Yeti, nur gemeiner.«
Judy dachte daran, dass sich diese Frau möglicherweise gerade über sie lustig machte. Wenn Judy mitten in der Nacht einsam ihren Job erfüllen würde und eine Scherzanruferin in der Leitung hätte, dann hätte sie vermutlich dasselbe getan.
»Er schien kein Vanille zu mögen.« Es folgte eine unbehagliche Pause. »Ich denke mir das nicht aus.«
»Kommen Sie ihm einfach nicht in die Quere. Wir schicken einen Agenten los. Er müsste in fünfzehn Minuten da sein.«
»Ich hab Ihnen aber die Adresse noch gar nicht gesagt.«
»Wir verfolgen Notfallanrufe zurück.« Die Telefonistin legte auf.
Zufrieden, ihre Aufgabe erledigt zu haben, ging sie nach vorn in den Laden. Sie rief: »Sie schicken einen Typ, ich warte auf ihn und mach gleich eine Zigarettenpause, Dave!« Es gab kein Anzeichen, dass er sie gehört hatte, aber er würde es schon merken.
Die Nacht war kühl, und sie wünschte, sie hätte an ihren Pulli gedacht. Es war allerdings nicht kalt genug, um sich die Mühe zu machen, ihn zu holen. Sie setzte sich auf die münzbetriebene Kinderrakete, zündete sich eine Kippe an und wartete.
Sie
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