Monster
Fahrchips gekauft. „Das hättest du nicht tun müssen“, sagte Kenny lächelnd, „ich kann hier überall umsonst drauf und auch jemanden mitnehmen.“
„ Daran habe ich gar nicht gedacht“, gab Kai zu und kratzte sich verlegen an der Stirn. Als sie in die Gondel einstiegen, machte der Typ, der ihnen die Chips abnahm, einen dementsprechenden Kommentar. „Oh, heute mal zahlender Kunde?“, fragte er an Kenny gewandt. Dieser schüttelte den Kopf. „Nein, schon wieder nicht. Ich wurde eingeladen.“ Der Typ vom Riesenrad grinste und schon erhob die Gondel sich in die Luft.
„ Da haben wir wieder für Gesprächsstoff für die nächsten paar Tage gesorgt“, sagte Kenny und seufzte theatralisch. Sofort bekam Kai ein schlechtes Gewissen. „Was glaubst du, wird er erzählen.“ Kenny zuckte mit den Schultern. „Vermutlich, dass wir das hier getan haben.“ Ehe Kai sich versah, beugte Kenny sich zu ihm und küsste ihn. Seine Zunge forderte die von Kai zu einem heißen Duell heraus und Kennys Geschmack ließ Kai vor Glück schwindlig werden. Als sie den Kuss beendet hatten, sorgte auch die inzwischen erreichte Höhe für ein prickelndes Gefühl in Kais Bauch. Sie blieben an der höchsten Stelle stehen und betrachteten die Lichter der Stadt unter ihnen. Musikfetzen waren zu hören, und der Wind pfiff ihnen um die Ohren.
„ Ich wünschte, wir könnten für immer hier oben bleiben“, sagte Kai. „Das wäre nicht das Schlechteste“, stimmte Kenny zu.
Kai griff nach Kennys Hand und ihre Finger verschränkten sich ineinander. „Mit dir habe ich wirklich das Gefühl, ich könne fliegen.“ Irgendwo in der Ferne war das Martinshorn eines Krankenwagens zu hören, dann verstummte es abrupt.
„ Verliebe dich nicht in mich“, hörte Kai Kenny plötzlich sagen. Er biss sich auf die Lippe. Natürlich hatte Kenny recht. Es war dumm, das zu tun, denn sie hatten nur ein paar Tage, bis Kenny weiterziehen würde. Dennoch sagte Kai die Wahrheit. „Das habe ich längst.“
Kenny seufzte. „Du bist so dumm.“ Kai blickte zu Boden. „Ja, ich weiß.“ Die Gondel bewegte sich weiter und langsam verlor sie an Höhe.
Sie ließen ihre Hände ineinander verschränkt, doch Kai wusste, dass es vorbei war. Sein Traum war gestorben, bevor ihm Flügel hatten wachsen können, um ihm die Freiheit zu geben, die er ersehnte.
~*~
Als sie ausgestiegen waren, blieben sie eng beisammen stehen, während um sie herum die Leute lachten und aufgeregt die Attraktionen bestaunten. Kennys Stimme war sanft.
„ Ich werde nun rübergehen müssen, um mich umzuziehen. Es tut mir leid, Kai, aber du wusstest, dass ich zwei Gesichter habe. Und ich fürchte, du wirst am Ende nur das Monster in Erinnerung behalten, das dir klargemacht hat, dass es keine Zukunft für uns gibt.“
Kai schnürte es die Kehle zu, er musste um jedes Wort kämpfen. „Nein, ich werde mich an das Monster erinnern, das mich gerettet hat. Und an den Kenny ohne Maske, der mich dazu gebracht hat, zu fliegen.“
Kenny lächelte, dann wandte er sich um und ging in Richtung Geisterbahn. Mitten auf dem Weg blieb er plötzlich stehen und kam zu Kai zurück. Mit beiden Händen umfasste er dessen Gesicht, küsste ihn auf den Mund und legte dann seine Stirn an die von Kai.
„ Du bist wirklich dumm, Kai. So dumm ...“, murmelte er dann. Dieser wollte gerade erwidern, dass er nichts dagegen tun könne, als Kenny plötzlich sagte: „Und ich bin genauso dumm. Ich will nicht, dass das mit uns einfach so endet. Aber hast du eine Ahnung, wie schwierig es wird, wenn wir versuchen, zusammen zu bleiben? Mitte der Woche bin ich bereits in einer anderen Stadt. Und danach noch weiter weg. Es kann nicht gut gehen. Das kann es einfach nicht.“
„ Ich weiß“, erwiderte Kai unglücklich, und doch schlug ihm das Herz voller Hoffnung bis zum Hals.
„ Willst du es trotzdem riskieren?“, fragte Kenny, und ehe Kai antworten konnte, fügte er an: „Ich könnte versuchen, hier über die Wintermonate eine Wohnung zu bekommen. Und dann sehen wir, wie es mit uns läuft.“
„ Ja, das wäre großartig!“, erwiderte Kai. Er konnte sein Glück kaum fassen.
Niemand wusste, ob es klappen würde. Die Zukunft war ungewiss, aber wann konnte man sich schon je über irgendetwas sicher sein? Kai wusste nur eines mit Sicherheit: Kennys zwei Gesichter faszinierten ihn. Und er würde alles daran setzen, dass dieser seine Entscheidung nicht bereuen würde.
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