Monströs (German Edition)
er nach oben in den Schnee grub, hinauf. Immer wieder dachte er an Paul. An das Leben, das sie gemeinsam führen konnten, wenn er es aus diesem Grab schaffen würde. Er dachte daran, dass es dann vorbei war. Er musste nur noch hier raus. Eddie war tot. Die Lawine hatte ihn frontal erwischt. Die Bedrohung war vorüber, sobald er hier raus wäre.
Als seine Kräfte fast völlig versiegten, entdeckte er etwas, das neue Hoffnung in ihm nährte und ihn weitermachen ließ. Es wurde heller über ihm. Und mit jedem Zentimeter, den er den Schnee beiseite räumte, war er sicherer über sich, ein helles Licht zu sehen. Irgendwann durchstieß seine Hand die Schneedecke. Sein Kopf folgte und schließlich schaffte er es, seinen ganzen Körper aus dem Tunnel zu wuchten. Als er dann, völlig erschöpft auf dem Schneeberg lag, unter dem er begraben gewesen war, konnte er es nicht fassen. Er hatte es geschafft. Und im gleichen Moment wusste er, dass er nicht nur dem Tod entkommen war, sondern sich auch von seinem Trauma befreit hatte.
Er rappelte sich auf und blickte sich um. Die Lawine hatte ihn über hundert Meter nach unten mit sich gerissen. Er saß zu Füßen der Seilbahnstation und das Licht, dass er durch die Schneedecke hatte scheinen sehen, stammte von der Lampe über der verschütteten Eingangstür.
54
Um 7.30 fuhr der Zug in Zermatt ein. Karl Waller zog die Augenbrauen zusammen und blickte Ram fragend an, als der ihn und Paul in übertriebener Eile zum Verlassen des Zuges aufforderte. Als sie das Bahngleis hinter sich gelassen hatten und ins Freie traten, fegte ihnen ein starker Wind entgegen. Die Temperaturen, die noch vor kurzem um den Gefrierpunkt gelegen hatten, waren jetzt wieder deutlich unter null Grad abgesunken, und es hatte aufgehört zu schneien. Die Talstation der Gornergratbahn, an deren Endpunkt in über dreitausend Metern Höhe sich das Hotel Himmelwärts befand, lag nur fünfzig Meter vom Zermatter Bahnhof entfernt. Um dorthin zu gelangen, brauchten sie nur die Hauptstraße von Zermatt zu überqueren, die um diese Uhrzeit noch völlig menschenleer war. Schon von weitem konnte Ram auf der elektronischen Anzeigetafel über der Tür der Talstation eine durchlaufende Information erkennen, die ihm ganz und gar nicht gefiel. Nächste Abfahrt Gornergratbahn um 8.30 Uhr.
Ram fluchte innerlich. Jetzt waren sie so nah am Ziel und dann fuhr diese Bahn in der Nebensaison eine Stunde später, als in der Hauptsaison. Sie gingen hinüber zu der vollständig verglasten Bahnstation, hinter deren Glasscheiben Plakate und Landschaftskarten angebracht waren. Ram faltete fassungslos die Hände vor dem Glas und blickte ins Innere. Er sah mehrere Schalter. Sie waren nicht besetzt und es brannte nur die dürftige Nachtbeleuchtung.
Ram wurde immer unruhiger. Er hatte das bestimmte Gefühl, auf keinen Fall so lange warten zu können. Er blickte sich um und sah in der Nähe einer Baustelle hinter dem Bahnhof etwas, das ihm Hoffnung machte. Er lief seitlich an der Bahnstation vorbei und betrachtete sich die Gleise, die nach einigen Metern bereits steil anstiegen. Es waren zwei Gleise. Ihr Abstand voneinander betrug gut einen Meter. Die Gleise selbst und der Raum dazwischen war nur leicht mit Neuschnee bedeckt. Der grobe Schotter ragte hier und da unter der Schneedecke heraus.
Ram rannte zurück zu Paul und Karl, der ihn wieder mit einem fragenden Blick, nach dem Motto, was das Ganze denn sollte, ansah.
»Ich will zu meinem Papa«, jammerte Paul.
Karl blickte sich Hilfe suchend um.
»Wir sollten uns ein Café suchen und dort warten bis der Zug hinauffährt«, sagte er.
Ram überlegte kurz, ob er seine Informationen mit Karl teilen sollte. Dass der angebliche Freund, der nach Waller gefragt hatte, in Wirklichkeit ein durchgeknallter Psychopath war, der zuerst seinen Bruder und seine Frau erschossen hat und es jetzt vielleicht auf seinen Sohn Martin abgesehen hatte. Sollte er ihm sagen, dass außerdem da oben in dem Hotel die ehemalige Königin der Frankfurter Unterwelt die Chefin spielte, und dass das alles irgendwie mit Waller und dem Strafprozess vor sieben Jahren zusammenhing. Abgesehen davon, dass die Zeit für Erklärungen zu knapp war, hätte Karl ihm wahrscheinlich nicht geglaubt oder er hätte ihn für übergeschnappt gehalten. Und wenn Karl ihm doch geglaubt hätte, dann hätte er wie jeder normale Mensch darauf bestanden, die Polizei zu informieren, was wiederum nur Zeit gekostet hätte. Ram versuchte, die
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