Monströs (German Edition)
der gerade in Frankfurt sei und ihn besuchen wolle.
»Oh, das tut mir Leid«, antwortete Karl Waller. »Martin ist verreist.«
Auf die Frage, wo er hin sei, bekam er zur Antwort:
»In die Schweiz, ins Berghotel Himmelwärts bei Zermatt.«
Er hatte sich für die Auskunft bedankt, aufgelegt und sich gefragt, warum Martin Waller seine Fährte so offen preisgab? Wieder eine Falle? Er würde es noch erfahren. Er würde alles, was er von Waller wissen wollte, aus ihm herausbekommen, bevor er ihn eigenhändig erwürgte. Er musste schmunzeln. Die Drahtschlinge war schon immer sein liebstes Mordinstrument gewesen. Sie erforderte weniger Kraft, aber viel Technik und den Willen, immer fester zuzuziehen. Gerade wenn die Augen des Opfers vorquollen und die Zunge aus dem Mund hing, durfte man nicht weich werden. Es war am Ende kein physisches Kräftemessen. War die Schlinge einmal um den Hals gelegt und zugezogen, hatte der Gegner keine Chance mehr. Es war eine rein psychologische Angelegenheit. Keinesfalls durfte man sich zu Sentimentalitäten, wie Mitleid oder Mitgefühl hinreißen lassen. Er hatte immer das Gefühl gehabt, gerade wenn er die Drahtschlinge benutzte, seinen Opfern auf diese Weise in ihren letzten Zügen nahe zu sein. Aber Mitleid hatte er nie verspürt. Eddie hatte die Ratschläge des Therapeuten berücksichtigt. Er hatte den Kontakt zu seinem Bruder abgebrochen, war weggezogen und hatte regelmäßig seine Tabletten und Tropfen genommen. Er hatte den Job in der Spedition bekommen und dort Sarah kennen gelernt, dank der er zum ersten Mal ein Leben wie jeder andere, führen konnte. Und es hatte Eddie gefallen. Gleichwohl war die Angst, wieder zurückfallen zu können, Eddies ständiger Begleiter gewesen. Jetzt war es Eddie sogar angenehm, den anderen, rohen Teil, von sich wieder zu spüren. Jenen Teil von sich, der zu Trauer nicht fähig war, der nur Wut, Zerstörung und Blutdurst kannte, und der nun das Steuer übernommen hatte. Raphael warf noch einen Blick auf das Stück Zeitungspapier mit der Todesanzeige von Anna Waller, dann steckte er das Papier hastig in seine Jeans, ging aus dem Haus und startete den Wagen. Kurz nachdem er die Schweizer Grenze hinter sich gelassen hatte, hörte Raphael im Radio die erste Meldung über den Leichenfund, und dass man sich den Mord an Eddies Bruder, live im Internet ansehen könne. Eddie wurde als dringend tatverdächtig gesucht. Er atmete zufrieden durch. Die Grenze lag hinter ihm, das war entscheidend. Es war ihm egal, was die Leute über Eddie dachten, ob sie ihn für einen Mörder hielten. Er war dafür da, Eddie zu helfen. Eddie wollte Rache, das spürte er. Er, Raphael, würde das für Eddie erledigen. Er würde Martin Waller finden und dann würde er ihn töten.
7
Martin hatte nichts gegen eine Hotelführung einzuwenden und Zurbriggens Gesicht hellte sich augenblicklich wieder auf. Sie gingen an der Rezeption vorbei. Eugen Bumann nickte Martin von seinem Schreibtisch aus freundlich zu.
Zurbriggen zeigte Martin in der Eingangshalle, die jetzt menschenleer war, ein paar Stühle und einen Tisch, die an den Ecken leichte Beschädigungen aufwiesen. Das Holz war hier und da auch verblasst oder wies Flecken auf. Während Martin die Arbeit, die er mit diesen Möbeln haben würde, abschätzte, erzählte Zurbriggen etwas über das Hotel.
»Das Gebäude wurde 1897 erbaut und später erweitert. Wir haben sechsundvierzig Zimmer, ein hervorragendes Restaurant und einige kleine Geschäfte in dem später entstandenen Glasanbau. Aber unsere größte Attraktion ist und bleibt die einmalige Lage und der Ausblick.«
Als Martin fertig war, gingen sie hinüber zum Fahrstuhl. Zurbriggen drückte auf den Knopf rechts neben dem Aufzugschacht. Plötzlich setzte ein laut klopfendes Geräusch ein. Martin verzog das Gesicht. Bevor er fragen konnte, was das war, gab Zurbriggen ihm schon die Antwort.
»Seit gestern gibt der Aufzug dieses unerträgliche Geräusch von sich. Ein Metallteil hat sich verkanntet - soviel konnten wir sehen - und rattert jetzt über die Streben der im Schacht befestigten Rettungsleiter. Morgen kommen die Handwerker, die das reparieren sollen. Aber keine Angst, die Fahrtüchtigkeit ist nicht beeinträchtigt. Wir haben den Aufzug zwar gestern Abend gesperrt, aber nur wegen des Lärms. Schließlich sollen die Hotelgäste das Hotel in guter Erinnerung behalten und auch in ihrer letzten Nacht ruhig schlafen können.«
Dann war der Aufzug da und die beiden
Weitere Kostenlose Bücher