Monströs (German Edition)
auf den Eintrag machte, anstatt ihn zu löschen. Die Nachricht öffnete sich und der Text baute sich auf dem Bildschirm auf. Er brauchte ein paar Sekunden um zu erfassen, was er da las. Es war ganz und gar unglaublich. Dann überkam ihn die blanke Panik. Er schnellte von seinem Stuhl auf, schnappte nach Luft und trat hastig ein paar Schritte zurück, bis er an den Rand des Bettes stieß. Er schaute aus dieser Entfernung auf den Bildschirm, ängstlich, als ob auf dem Tisch eine zum Angriff bereite Vogelspinne säße, die er im Auge behalten musste. Aber es war kein Tier, das dort auf ihn lauerte. Es war der Text einer an sich ganz normalen E-Mail, der seinen Körper mit Adrenalin vollpumpte und in Alarmbereitschaft versetzte.
Schließlich schluckte er den Kloß in seinem Hals hinunter und näherte sich vorsichtig wieder dem Bildschirm wie ein Steinzeitmensch, der zum ersten Mal ein Feuer sieht.
Fassungslos stand er schließlich vor dem Display. Was hatte das zu bedeuten?
Die E-Mail kam von einer Person, die er sehr gut kannte. Aber diese Person war auf den Tag genau seit drei Jahren tot.
9
Raphael hatte es geschafft. Er hatte die letzte Fahrt der Zahnradbahn hinauf aufs Gornergrat noch bekommen. Nur wenige Menschen waren außer ihm im Zug. Es waren Einheimische. Sie stiegen alle an den beiden ersten Haltestationen aus. Er fuhr als Einziger bis ganz hinauf zum Hotel. Auf dem Weg spürte er das untrügliche Gefühl der Veränderung. Raphael wich mehr und mehr zurück und Eddie übernahm wieder die Kontrolle über seinen Körper. Er wollte es nicht. Aber er konnte nichts dagegen tun. Vermutlich lag es an den Medikamenten, die Eddie jahrelang genommen hatte. Sie hatten wahrscheinlich einen Wirkspiegel hinterlassen, der es Eddie erleichterte, wieder zum Vorschein zu kommen. Auch die Entspannung, die während der Zugfahrt eingekehrt war, schaffte eine passende Atmosphäre.
Als die Bahn an der letzten Station hielt, stieg Eddie aus. Die in den Zug drängenden Menschen beachteten ihn nicht. Es waren größtenteils Angestellte des Hotels und der Bahnstation, die hinunter ins Tal und in den Feierabend wollten. Aber auch einige Hotelgäste mit Taschen und Rucksäcken, sowie ein paar Ausflügler, die es besonders lange hier oben ausgehalten hatten, waren dabei. Nachdem die Bahn sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, schaute er ihr noch kurz nach, wie sie sich durch das schroffe schneebedeckte Gelände grazil auf den Gleisen nach unten schlängelte. Dann nahm er das Hotel in Augenschein. Unzählige Lampen, die im Boden eingelassen waren, strahlten es an. Außer ihm war nun niemand mehr hier draußen. Er spürte die Pistole in seinem Hosenbund. Er hatte seine Ruger von zu Hause mitgenommen. Die Pistole, mit der er seinen Bruder erschossen hatte, hatte er noch in Deutschland beim Überfahren einer Brücke in den Rhein geworfen. Die Beseitigung dieses Beweisstückes würde ihn nicht vor einer Verurteilung wegen Mordes an seinem Bruder schützen. Dafür reichte das Video der Tat aus. Er wollte die Pistole einfach nicht bei sich haben.
Die Ruger drückte leicht gegen seinen Oberschenkel und vermittelte ihm ein Gefühl der Sicherheit. Seine Jacke reichte ihm bis weit über die Hüfte und verdeckte die Ausbeulung, welche die Waffe hervorrief. Während er auf das Hotel zu ging, versuchte er sich wieder ins Gedächtnis zu rufen, wie Martin Waller ausgesehen hatte. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Auf seinem Gedächtnis lag ein Schleier. Er führte es auf all die Medikamente zurück, die er in den letzten sieben Jahren hatte schlucken müssen. Wenn er Waller sah, würde er ihn erkennen, da war er sicher.
Auf dem Schild neben dem Hoteleingang stand, dass das Hotel geschlossen sei. Er überlegte, was er tun sollte und spähte durch die Glastür ins Innere. Am Schreibtisch hinter der Rezeption sah er einen Angestellten, der seinen Blick konzentriert auf den vor ihm stehenden Computerbildschirm richtete. Wenn er an die Tür klopfen würde und nach Martin Waller fragen würde, wäre das eine Möglichkeit, aber womöglich würde der Mann Waller informieren und Waller wäre vorgewarnt. Raphael wäre vor dieser Tür bereits Amok gelaufen, hätte sie zerschossen und wäre mit viel Tamtam in das Hotel eingedrungen. Den Mann an der Rezeption hätte er zuerst nach Waller gefragt und ihn dann umgelegt. Eddie hingegen war anders gestrickt. Eddie konnte seine Wut zähmen, überlegter handeln, trotz aller Trauer um seine Frau. Man
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