Monströse Welten 1: Gras
ihnen von Baum zu Baum, ein bunter Quasi-Vogel, der sich zwar deutlich von den terranischen Spezies unterschied, aber dennoch so viel Ähnlichkeit mit ihnen aufwies, daß man ihn mit einem Papagei assoziieren konnte. Ein Schemen schwang sich auf das Geländer der Brücke, auf der Janetta tanzte und machte es sich dort bequem. Die Arbai schienen ihre Eliminierung locker wegzustecken.
»Es liegt bei Ihnen«, flüsterte Bruder Mainoa leise. »Ihre Wahl, Vater. Ob wir gehen oder bleiben.«
»Wir wissen nicht einmal, ob wir hier überleben können!« gab der Priester zu bedenken. »Wovon sollen wir uns zum Beispiel ernähren? Vielleicht haben diese Früchte überhaupt keinen Nährwert.«
»Die Früchte und Grassamen sind mehr als ausreichend«, beruhigte Bruder Mainoa ihn. »Bruder Laeroa hat in jahrelangen Untersuchungen den Nährwert verschiedener Gräser ermittelt. Schließlich haben sich auch auf Terra viele Menschen hauptsächlich von Weizen, Reis oder Mais ernährt, Vater. Das sind im Grunde auch Grassamen.«
»Um Grassamen zu sammeln«, wandte Vater James ein, »müßte man in die Prärie hinausgehen. Dort sind aber die Hippae.«
»Sie wären durchaus dazu in der Lage«, entgegnete der Bruder. »Sie genießen Schutz…« Er schloß die Augen und schien einzuschlafen, wie er das seit ihrer Ankunft schon öfter getan hatte.
»Eigentlich«, sagte Vater James, dem plötzlich wieder die Bauernhöfe einfielen, die er als Kind besucht hatte, »könnte man hier im Sumpf auch Enten und Gänse halten.« Statt des beabsichtigten Gelächters brachte er aber nur einen Seufzer zustande. Dem jungen Priester war soeben nämlich eingefallen, daß die paar Menschen auf Gras vielleicht die einzigen Menschen überhaupt waren. Ob das Terrain nun für Enten geeignet war oder nicht, sie saßen ohnehin hier fest.
»Wisch dir den Mund ab«, sagte Rillibee Chime erneut. »Oh, Stella, was bist du für ein liebes, kluges Mädchen.«
Janetta drehte summend eine Pirouette und blieb unvermittelt stehen. »Potty!« sagte sie laut und deutlich. Sie raffte den Rock und schwang sich in der gleichen Pose auf das Geländer, die der Schatten-Arbai vor wenigen Augenblicken eingenommen hatte.
»Sie spricht wieder«, stellte Vater James überflüssigerweise fest; mit rotem Gesicht wandte er den Blick von Janettas blankem Po ab.
»Sie wird es wieder lernen«, pflichtete Bruder Mainoa ihm bei; plötzlich war er wieder hellwach.
Vater James seufzte und sagte mit abgewandtem Gesicht: »Hoffen wir, daß sie auch noch ein wenig Schamgefühl entwickelt.«
Bruder Mainoa lächelte. »Oder daß wir lernen – was bei den Arbai offensichtlich der Fall war –, dem Körperlichen weniger Beachtung zu schenken.«
Vater James wurde von Traurigkeit erfaßt. Die Emotion war derart intensiv, daß er den Schmerz fast körperlich spürte. Plötzlich sah er Bruder Mainoa mit anderen Augen: ein schwacher Freund, ein Mensch am Ende seiner Kraft, der dem Körperlichen bald gar keine Beachtung mehr schenken würde.
Jemand beobachtete ihn. Er schaute auf und blickte in zwei glühende, nichtmenschliche Augen. In ihnen standen höchst menschliche Tränen.
Kurz nach der Internierung der Yrariers versammelte der Seraph, der die Truppen des Hierarchen kommandierte, ein paar seiner ›Heiligen‹, steckte sie in Kampfanzüge – womit er jedoch weniger taktische Ziele verfolgte, sondern die Bevölkerung einschüchtern wollte – und durchsuchte die Stadt und die umliegenden Farmen. Die Suche galt, so der Seraph, einer Person namens Bruder Mainoa. Jeder wollte ihn irgendwann einmal gesehen haben. Manche wußten sogar, wo er sein Quartier hatte. Wieder andere wußten, daß er vor wenigen Stunden zu Abend gegessen hatte. Niemand indes wußte, wo er sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufhielt.
»Er wirkte ziemlich niedergeschlagen«, sagte ein Informant namens Persun Pollut. Das war auch plausibel. »Fast alle Brüder sind beim Brand in der Abtei umgekommen. Es sollte mich nicht wundern, wenn er in den Sumpfwald gegangen wäre. Mehrere Leute haben das in jüngster Zeit getan.« All das entsprach der Wahrheit. Obwohl Persun einen Seufzer ausstieß und den Seraphen betrübt anschaute, konnte er es kaum erwarten, die Baum-Stadt mit eigenen Augen zu sehen.
Die Truppe suchte den Waldrand ab, und eine Abteilung drang sogar ein Stück weit in den Wald ein. Die Soldaten kehrten mit nassen Hosenbeinen zurück und sagten, sie würden sich nicht erinnern, etwas gesehen zu haben.
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