Monströse Welten 1: Gras
Winter der Frühling folgte, so folgte aus einem beigelegten Streit ein besseres Verständnis füreinander.
Im Augenblick herrschte Friede zwischen den Kindern und ihren Ehepartnern, und keines der Enkelkinder befand sich in der Residenz, so daß er und Kinny ungestört waren. Solche Momente genoß er immer.
»Ich habe Gans mit Kohl gemacht«, sagte Kinny. »Jandra Jellico hat ein paar Gänse geschlachtet und mich über das Telly benachrichtigt. Also bin ich rüber und habe mir einen fetten Vogel geholt.«
Roald leckte sich die Lippen. Frühlingsgans mit Kohl war eines seiner Lieblingsgerichte, und Kinny war eine unübertroffene Köchin. Es war auch Gans mit Kohl gewesen, weshalb er für sie entflammt war, mit ihren knubbeligen kurzen Armen und dem pausbäckigen Gesicht, und Gans mit Kohl war seither auch der Lichtblick in all ihren gemeinsamen Jahreszeiten gewesen. Gans mit Kohl hatte generell den Status eines Festessens.
»Na, welche gute Nachricht gibt es denn?« fragte er sie.
»Marthamay ist schwanger.«
»Nun, ist das nicht wunderbar! Wo sie doch so besorgt war.«
»Eigentlich war sie das gar nicht. Ihre Schwestern hatten sie nur aufgezogen, als sie und Alverd geheiratet hatten und nichts passiert ist.«
»Dann bereitet Alverd sich jetzt auf eine kleine Ausgrabung vor, nicht wahr?«
»So sagt sie.« Lächelnd schob Kinny sich eine Ladung Kohl in den rosigen Mund und dachte dabei an den großen, fleißigen Alverd Bee, wie er unten in den Winterquartieren malochte und nach alter Väter Sitte einen neuen Raum ausschachtete. Alverd würde in ein paar Wochen zum Bürgermeister von Commons gewählt werden, und als Bürgermeister würde er wenig Zeit für solche Dinge haben. Aber die Brüder würden ihm schon helfen, genauso wie er ihnen geholfen hatte. »Was gibt es also von den Neuen zu erzählen?«
Er erstattete Bericht, über den Botschafter und Marjorie und die andere Dame in dem bald bezugsfertigen pinkfarbenen Liebesnest.
»Ach«, kommentierte Kinny naserümpfend. »Das ist aber traurig.«
»Meine ich auch«, pflichtete er ihr bei. »Seine Frau ist eine schöne Dame, aber kühl. Ist nicht leicht, die Leidenschaft in ihr zu entfachen.«
»Und dazu ist er wohl zu geil und ungeduldig.«
Nachdenklich mümmelte Roald vor sich hin. Ja. Wie immer hatte Kinny es auf den Punkt gebracht. Viel zu geil und ungeduldig, dieser Roderigo Yrarier. So geil und ungeduldig, daß er sich schon eine Menge Ärger aufhalste, bevor er überhaupt angefangen hatte.
Weil diese Vorstellung ihm nicht gefiel, wechselte Roald das Thema: »Weiß Marthamay schon, wie sie das Baby nennen will?«
Marjories Sprachlehrer traf nach zwei Tagen ein. Er stellte sich als Persun Pollut vor. In dem Raum, der einmal Marjories Arbeitszimmer werden würde, nahm er neben ihr Platz, direkt vor dem großen Fenster, durch das die orangefarbene Sonne wärmende Strahlen schickte. Derweil gingen draußen in der Halle Handwerker ein und aus, mit Kisten und Kartons, Werkzeug und Leitern. Die Arbeiter vor Augen, bemerkte Marjorie, daß es im Grunde doch grotesk sei, separate Winter- und Sommerquartiere einzurichten.
»Die Winter sind lang«, stellte er mit gesenktem Blick fest. »Sie sind so lang, daß wir unserer überdrüssig werden.« Persun hatte außergewöhnlich buschige Augenbrauen. Er war jung, aber kein Kind mehr; schlank, aber nicht dürr; resolut, aber nicht stur. Marjorie kam zu dem Schluß, daß Roald Few eine gute Wahl getroffen hatte, insbesondere deshalb, weil Persun so schlau gewesen war, den wahren Grund seiner Anwesenheit nicht preiszugeben. Er hatte sich im nächsten Dorf ein Zimmer genommen und verkündet, er wäre gekommen, um ein paar Bretter für ›das Arbeitszimmer der Lady‹ zu sägen. Nun saß er entspannt in besagtem Arbeitszimmer und fuhr mit seiner Erklärung fort.
»Der Winter ist so lang, daß man beim Gedanken daran schier verzagen möchte«, sagte er. »Wir wollen nicht die Luft atmen, die nicht nur kalt, sondern auch ungesund ist. Deshalb verkriechen wir uns unter die Erde, wie die Hippae, und warten auf den Frühling. Manchmal wünschten wir uns, einen Winterschlaf zu halten wie sie.«
»Was, in aller Welt, fangt ihr dann überhaupt mit euch an?« erkundigte Marjorie sich, wobei sie sich erneut fragte, was sie während des Winters mit den Pferden machen sollte. Wenn sie dann überhaupt noch auf Gras waren. Anthony sagte immer, daß sie dann schon wieder auf dem Heimweg wären, aber Anthony wußte auch nicht,
Weitere Kostenlose Bücher