Monströse Welten 2: Hobbs Land
lag schon eine beträchtliche Zeit zurück. Was mochte wohl der Auslöser gewesen sein? Der Einschlag eines gigantischen Felsens, der vom Gürtel abgedriftet war? Ein Komet, der Millionen Jahre durch den Leerraum gewandert war? Oder gar ein Alien, das aus dem Nichts erschienen war und sich im Todestrieb auf den Planeten gestürzt hatte? Auf jeden Fall war eine Naturkatastrophe die Folge gewesen. Seen wurden zugeschüttet, ein ganzes Meer floß in den Südozean ab, und die Sonne verschwand für einige Planetenjahre hinter einer Wand aus Asche. Nachdem es schließlich wieder aufgeklart hatte, erschien ein neuer Bewohner auf der geschundenen Welt: ein fadenähnliches Geschöpf, das sich von der Einschlagstelle über den ganzen Planeten ausbreitete und sich in den Pflanzen und Urtierchen einnistete. Dieses Wesen war vom Fremden eingeschleppt worden. Dort, wo der Fremde herkam oder wo er dieses Wesen aufgegriffen hatte, hatte niemand der Sache Bedeutung beigemessen, zumal es auch niemandem aufgefallen war.
Nach der Katastrophe hatten die primitiven Lebewesen eine erstaunliche Evolution vollzogen. Sie hatten Tentakel ausgebildet, die sie zum Gebrauch von Werkzeugen befähigten, eine Sprache entwickelt und schließlich ein Bewußtsein und Intelligenz ausgeprägt. Nach vielen Generationen gab dieses Volk sich den Namen ›Owlbrit‹, in Anlehnung an ›Owlbri‹, die Bezeichnung für ihre Welt. Sie bewegten sich auf abnehmbaren Beinen fort. Die Verständigung erfolgte, indem sie zwei oder mehr gezackte Tentakel aneinanderrieben. Sie eroberten nicht den Weltraum, denn ihr Horizont erstreckte sich nicht über ihre Welt hinaus. Im Grunde taten sie überhaupt nichts, wenn man Kreativität und Produktivität als Maßstab nimmt. Ihr Wesensmerkmal war eine gewisse Lethargie, die sich im Lauf der Jahrhunderte noch verstärkte. Sie verfügten weder über Phantasie noch über Ambitionen. Wenn das Fadenwesen Anstoß nahm an der Lethargie der Owlbrit, dann zeigte es das zumindest nicht. Von Zeit zu Zeit stieß das Netz Sporen aus und starb dann ab, nur um anschließend neu zu entstehen; als ob es die Taktik nun leicht variieren wollte. Aber vergebens. Nicht nur daß die Owlbrit untalentierte Baumeister waren, die Arbeit hatten sie auch nicht gerade erfunden, und so überzogen sie die Welt allmählich mit Tempeln und Dörfern, die im Grunde alle dieselbe Architektur aufwiesen. Und schließlich starben sie so, wie sie gelebt hatten – indifferent –, wobei sie sich immerhin freuten, daß nun andere Wesen gekommen waren, um ihre Bürde zu schultern – um welche Bürde auch immer es sich gehandelt hatte.
Eine spirituelle Komponente war dem Volk der Owlbrit völlig abgegangen. Sie hatten ihre materiellen Ressourcen erschöpft und waren dann abgetreten. Seltsam, daß sie sich dieses Defizits überhaupt bewußt geworden waren; sie hatten diesen Aspekt als ›rhsthy‹ bezeichnet. Ein Translator hätte das mit ›Poesie‹ wiedergegeben. Den Owlbrit hatte die Poesie gefehlt.
Diesen Umstand hatten die Forscher nie richtig zur Kenntnis genommen, obwohl ein paar Akademiker zumindest in Fußnoten auf dieses rassenspezifische Phänomen hingewiesen hatten. Die Lethargie der Owlbrit würde wohl für immer ein Mysterium bleiben, weil nämlich niemand die richtigen Fragen stellte.
Ebenso desinteressiert hatte man den zahlreichen Ruinen der Erloschenen gegenübergestanden. In Shans und Bombis Augen gab es sogar zu viele dieser Baudenkmäler; Volsa hingegen hatte sich noch ihre wissenschaftliche Neugierde bewahrt.
»Schau’n wir mal, wie viele Dörfer wir morgen wieder entdecken«, sagte Bombi gelangweilt und wischte sich den Staub aus dem Gesicht. Die Baidee hatten die Turbane gegen Kappen eingetauscht und die weißen Gewänder durch dunkle Kombinationen aus schwerem Drillich ersetzt. So verdreckt wie die Damzels im Augenblick waren, hätte niemand ihnen abgenommen, daß sie Hoch-Baidee waren.
»Ich verstehe deinen Enthusiasmus nicht, Volsa«, fuhr Bombi fort. »Wir haben täglich zwei bis drei Dörfer entdeckt, insgesamt fast vierhundert. Und in jedem dieser Dörfer haben wir mindestens eine Tempelruine gefunden. Wir wissen mittlerweile, daß die Tempel quasi in Serie gebaut wurden. Wenn der alte Tempel verfallen war, haben sie einen neuen gebaut; manchmal auch schon vorher. In jedem Dorf findet sich dieselbe Anzahl von Tempeln, als ob die Dörfer ihre baulichen Maßnahmen koordiniert hätten. Sechs Tempel in jedem Dorf. Natürlich wissen wir
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