Monströse Welten 2: Hobbs Land
gelegentlich von fremden Besuchern durchstreift, die aus der Dunkelheit kamen, sich in die Sonne stürzten oder an ihr vorbeiflogen und wieder in der Dunkelheit verschwanden.
Die Pläne, die Ausläufer des Systems zu besiedeln, wurden nie verwirklicht. Nachdem die Seuche endlich besiegt worden war, stellte sich heraus, daß die Bewohner der besiedelten Planeten und Monde Platz für die Flüchtlinge geschaffen hatten. Nach diesem Aderlaß war die Bevölkerung von Thyker deutlich geschrumpft; dafür war sie nun viel homogener. Zufällig (obwohl es Stimmen gab, die das Gegenteil behaupteten) handelte es sich bei den auf Thyker verbliebenen Menschen hauptsächlich um Hoch-Baidees, Anhänger des Overmind, Jünger der Prophetin Morgori Oestrydingh, die vor tausend Jahren mittels eines Transmitters, von dessen Existenz niemand gewußt hatte, auf Thyker erschienen war.
Dieser Transmitter befand sich – wenn man ihn sich denn ansehen wollte – in der Nähe einer Oase außerhalb der westlichen Vororte von Serena. Bei diesem Gerät handelte es sich um eine Möbiusschleife aus korrodiertem Metall, die auf einem wuchtigen Natursteinsockel ruhte. Aufgrund des Alters und der leichten Zugänglichkeit hatte der Transmitter eine gewisse mythische Reputation erlangt und diente nun als Veranstaltungsort für Konzerte und sonstige Feierlichkeiten.
Während der Feier anläßlich des zweihundertsten Jahrestages der Kolonisierung von Thyker, wobei der Patriarch einer örtlichen Sekte seinen jährlichen Segen für die Herden sprach (genügsame Vorgashirs, eine Kreuzung zwischen dem alten Menschenheimat- Kamelund einer ursprünglich aus dem Vlees-System stammenden gehörnten, eidechsenartigen Kreatur), loderte plötzlich eine Feuerwand vor dem Monument auf, und ein Drache trat hindurch. Der Segen des Patriarchen wurde für die Nachwelt festgehalten, und die Ankunft des Drachen ebenfalls: eine große, gehörnte Bestie mit Reißzähnen und einem feurigen Schweif. So wurde’ es zumindest überliefert. In der Aufzeichnung war der Drache indes gar nicht als solcher zu erkennen. Man sah zwar etwas, aber die Erscheinung war verschwommen und nicht eindeutig zu identifizieren.
Die Archive waren auch keine Hilfe. Dafür war die Aufzeichnung zu unscharf gewesen, und es gab auch keine Basis für eine Extrapolation.
Alle waren sich indessen einig, daß die Prophetin auf einem formidablen Halbwesen angeritten kam, abstieg, dem Patriarchen die Hand reichte und ihm familiär auf die Schulter klopfte. Dem Patriarchen, der mit dem Rücken zum Transmitter gestanden hatte, war ihre Ankunft völlig entgangen; im ersten Moment glaubte er, sie würde im Rahmen der Feierlichkeiten eine Darbietung zeigen; doch beim Anblick des Drachen wurde er eines besseren belehrt. Dann fiel er vor Schreck in Ohnmacht. Ein wackerer Subdekan brachte ihn in Sicherheit, und nach kurzem Zögern wandte die Prophetin sich in einem archaischen und nur schwer verständlichen Idiom an die Menge, das später vom Kreis der Skrutatoren transkribiert und übersetzt wurde.
»Mein Name ist Morgori Oestrydingh«, stellte sie sich vor. »Mein Begleiter hat keinen Namen.«
Ein zufällig anwesender Student der Altphilologie ernannte sich selbst zum Dolmetscher und fragte sie nach dem Anlaß ihres Besuchs. Sie sagte, der Drache befände sich auf einer Expedition, und sie selbst sei eine Predigerin der Bewußtseinserweiterung. Die Aufzeichnungen zeigten eine alte Frau mit weißem Haar, das wie Nebel um ihren Kopf wallte, den intensiven Blick, der sich direkt in die Herzen der Zuhörer senkte, und den wie eine Luftspiegelung hinter ihr schwebenden Schemen mit der Andeutung von Zähnen, Klauen und Schuppen. Das Bild vermittelte durchaus die Vision eines Drachens, ohne sich indes auf die gegenständliche Ebene herabzulassen.
Die Prophetin Morgori Oestrydingh verweilte lange genug auf Thyker, um den Menschen zu erklären, daß die Metallschleife einen alten Transmitter zu nichtmenschlichen Welten darstellte und daß er einst vom Volk der Arbai erbaut worden sei, die auch diese Welten bevölkert hätten. Besagte Arbai hätten sich durch eine überragende Intelligenz und Ethik ausgezeichnet. Sie blieb fast eine ganze Jahreszeit und predigte ihnen, wobei sie die Leute als Baidee oder ›Neu-Bai‹-Leute bezeichnete. Sie müßten ein neues Bai-Volk werden, hatte sie gesagt. Das erste Bai-Volk seien die Arbai gewesen, die Erbauer der Transmitter, und auf den Welten, die Morgori seitdem besucht hatte,
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