Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Titel: Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
Vom Netzwerk:
Clavert getroffen hatte, hatte sie sich ihm an den Hals geworfen. Das lange Haar, das sie mit der flachen Hand anhob, die verstohlenen Blicke, die sie ihm unter gesenkten Wimpern zuwarf, das im Ausschnitt ihrer Bluse dargebotene Dekolleté. Er hatte sie kurz angebunden in die Schranken gewiesen und geglaubt, sie damit endgültig los zu sein.
    »Was verschafft mir die Ehre?«, fragte er, während er gleichzeitig den Lautsprecher einschaltete und den Stapel Post entgegennahm, den Gwendoline, seine Sekretärin, ihm reichte.
    »Ich komme nächste Woche nach London, und ich dachte, wir könnten uns vielleicht treffen …«
    Und als er nicht antwortete, fügte sie hinzu: »Ganz ohne Hintergedanken natürlich …«
    »Natürlich«, wiederholte er, während er seine Post sortierte und mit einem Auge einen Artikel in der Financial Times überflog: »Nichts wird je wieder so sein wie früher. In der City werden fast hunderttausend Arbeitsplätze wegfallen. Das bedeutet etwa ein Viertel aller Angestellten. Eine Ära geht zu Ende. Das goldene Zeitalter, in dem ein Durchschnittsbanker das Jahr mit einem Zweimillionenbonus abschließt, ist endgültig vorbei.« Darunter folgte ein fett gedruckter Absatz: »Die Frage lautet nicht mehr, wie viel Geld man verlieren wird, mittlerweile geht es ums nackte Überleben. Auf die totale Euphorie folgt die totale Krise.« Ein ehemaliger Angestellter von Lehman Brothers erklärte: »Es ist brutal. Die Insolvenzverwalter haben uns versprochen, dass wir noch bis zum Ende des Jahres bezahlt werden. Danach heißt es: Jeder für sich.«
    Begriffe wie leverage , credit rating , high yield und over-shooter waren zu stinkenden Klumpen geworden, die man mit zugehaltener Nase in den Müll warf.
    »… also habe ich mir gedacht«, sagte Bérengère Clavert gerade, »dass wir uns zum Mittagessen treffen können, damit ich dir das alles gebe …«
    »Damit du mir was gibst?«, fragte Philippe und stellte die Zeitungslektüre ein.
    »Iris’ Tagebücher … Hörst du mir überhaupt zu, Philippe?«
    »Und wie kommst du zu Iris’ Tagebüchern?«
    »Sie hatte Angst, dass du zufällig darauf stoßen könntest, darum hatte sie sie mir anvertraut … Sie sind voll von pikanten Geschichten!«
    »Pikant«, noch so ein Wort, das ihn mit den Zähnen knirschen ließ.
    »Wenn sie nicht wollte, dass ich sie lese, habe ich sie auch nicht zu lesen. Das scheint mir logisch. Es ist also vollkommen unnötig, dass wir uns sehen.«
    Es folgte ein langes Schweigen. Philippe wollte schon auflegen, als er Bérengères zischende Stimme hörte.
    »Du bist ein abscheulicher Rüpel, Philippe! Wenn ich bloß daran denke, dass ich dich jedes Mal verteidige, wenn andere über dich herziehen!«
    Bei diesem letzten Halbsatz zuckte Philippe unwillkürlich zurück, aber er zog es vor, wortlos aufzulegen. Unheilstiftend und boshaft, dachte er und bat Gwendoline, die den Kopf zur Tür hereinsteckte, um einen starken Kaffee.
    »Monsieur Rousseau aus Ihrem Büro in Paris wartet auf der anderen Leitung …«, flüsterte sie. »Seien Sie vorsichtig: Er tobt vor Wut.«
    Raoul Rousseau. Sein Partner. Dem er seine Anteile verkauft und die Leitung der Anwaltskanzlei überlassen hatte, nachdem er beschlossen hatte, sich zurückzuziehen. Nicht mehr sein ganzes Leben damit zu verbringen, Paragrafen und Verträge zu studieren, Zahlen und Geschäftsessen aneinanderzureihen. Raoul Rousseau, genannt der Lurch. Er leitete das Pariser Büro und hatte die feuchte, wulstige Unterlippe eines unersättlichen Mannes. Philippe nahm an den Sitzungen des Verwaltungsrats teil und vermittelte ihm Klienten aus London, Mailand und New York. Er arbeitete nur noch halbtags, und das gefiel ihm ausnehmend gut.
    Er nahm das Gespräch an.
    »Raoul! Wie geht es dir?«
    »Wie kannst du so blöd fragen!«, brauste der Lurch auf. »Das ist ein Tsunami! Ein regelrechter Tsunami! Alle fliegen auf die Fresse! Ich schwimme in Akten. Hier stapeln sich Verträge, die längst unterschrieben sein sollten, die Leute geraten in Panik und machen sich aus dem Staub, sie wollen Garantien, und die Banker schlottern vor Angst! Ich schufte wie ein Irrer.«
    »Beruhige dich und atme einmal tief durch …«, versuchte Philippe ihn zu beschwichtigen.
    »Du hast leicht reden! Du tust gerade so, als ginge dich das alles nichts an!«
    »Wir sind alle betroffen, und wir werden es auch alle zu spüren bekommen. Aber hysterisches Herumfuchteln bringt niemandem etwas. Im Gegenteil … Wir müssen nach

Weitere Kostenlose Bücher