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Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Titel: Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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habe schon ganz andere Sachen durchgestanden. Ich werde mich jetzt nicht von diesem Grünschnabel aus der Fassung bringen lassen, den ich an meinem Busen genährt habe.
    »Ich will wissen, wer mein Vater ist, und ich will ihn kennenlernen.«
    Er hatte jede Silbe klar artikuliert. Er hatte sich bemüht, so neutral wie möglich zu sprechen. Sie nicht anklagen, keine Rechenschaft fordern, nur Bescheid wissen.
    Bis zu jenem bewussten Tag hatte er sich nie Fragen gestellt.
    Wenn er Formulare für die Schule oder einen Reisepassantrag ausfüllte, schrieb er in das Feld mit dem Namen des Vaters stets »unbekannt«, als wäre das ganz selbstverständlich, als stammten alle Jungen dieser Welt von unbekannten Vätern ab, als wären sämtliche Männer unfruchtbar und würden niemals Kinder zeugen. Manchmal war er überrascht, welches Mitleid diese schlichte Tatsache in den Gesichtern gewisser Leute auslöste, vor allem in den Gesichtern der Lehrerinnen, die ihm seufzend durchs Haar strichen. Er lächelte innerlich und suchte vergeblich nach einem Grund, warum man ihn bemitleiden müsse.
    Aber an jenem Tag, in seinem Squashclub, als er gerade eine Partie mit seinem Kumpel Simon beendet hatte und in Richtung Dusche stürmte, da hatte dieser beiläufig gefragt, was macht dein Vater noch mal? Ich habe es vergessen … Gary hatte mit den Schultern gezuckt, geantwortet: Ich habe keinen Vater, war unter die Dusche getreten und hatte das heiße Wasser aufgedreht. Wie … du hast keinen Vater? Jeder hat einen Vater! Tja, ich nicht!, hatte Gary erwidert und sich eingeseift, dass der Schaum ihm in die Ohren drang. Natürlich hast du einen Vater …, hatte Simon auf der anderen Seite der Zwischenwand beharrt.
    Simon Murray war rothaarig, klein und zeigte bereits den Ansatz einer Glatze. Er probierte sämtliche Mittelchen aus, die ihm wenigstens ein paar Haare auf dem Kopf erhalten sollten. Simon Murray war Wissenschaftler. Er gehörte zu einem Laborteam, das die Vermehrung von Maden erforschte, um ein Antibiotikum auf der Grundlage von Seraticin zu entwickeln, einer Substanz, die aus den natürlichen Ausscheidungen der Goldfliegenlarve gewonnen wird und zur Bekämpfung von nosokomialen Infektionen eingesetzt werden könnte. Das einzige Problem ist, schränkte Simon ein, dass wir im Moment noch zwanzig Tassen Madensaft brauchen, um einen einzigen Tropfen Seraticin zu erzeugen! Tja, Kumpel, versetzte Gary lachend, da wird es wohl noch eine Weile dauern, bis du den Nobelpreis bekommst!
    Aber an jenem Tag war es Simon Murray gewesen, der gelacht hatte.
    »Hältst du dich für Jesus oder was?«, hatte er erwidert, während er aus seiner Duschkabine herauskam und sich energisch den Rücken trocken rubbelte. »Und deine Mutter ist die Jungfrau Maria? Das kannst du sonst wem erzählen, Alter! Wenn du nicht über deinen Vater reden willst, sag’s einfach, dann werde ich dich nie wieder nach ihm fragen, aber behaupte nicht, du hättest keinen! Das ist vollkommen unmöglich.«
    Der kategorische Ton seines Freundes hatte Gary verletzt. Er hatte nicht darauf geantwortet. Besser gesagt, er hatte Not your business! geknurrt, und Simon hatte verstanden, dass er das Thema lieber lassen sollte.
    Als er später in seinem Schlafzimmer zum tausendsten Mal ein Stück aus dem Wohltemperierten Klavier gehört hatte, war ihm das Gespräch mit Simon wieder in den Sinn gekommen. Er hatte die Tüte mit den Bio-Chips weggelegt – die einzigen, die seine Mutter tolerierte – und laut gesagt: Stimmt doch! Er hat ja recht! Natürlich habe ich einen Vater! Und diese Erkenntnis hatte ihn erschüttert.
    Wer war dieser Mann? Lebte er noch? Wo lebte er? Hatte er noch andere Kinder? Was machte er? Warum hatte er nie von sich hören lassen? Er hörte Glenn Goulds Klavierspiel nicht mehr. Er hatte sich vor den Spiegel gestellt und sich einen Mann mit seinem Haar vorgestellt, mit seinen Augen, seinem Lächeln, seinen Schultern, die er zu schmal fand, hatte den Rücken ein wenig gebeugt …
    Ich habe einen Vater.
    Und er war gleichzeitig zutiefst bestürzt, erfreut, neugierig, begierig, verwundert, ängstlich und zitterte vor Fragen.
    Ich habe einen Vater.
    Und wie heißt er überhaupt?
    Als er noch klein war, hatte seine Mutter auf seine Frage, ob er einen Vater habe, immer geantwortet, sicher, aber ich erinnere mich nicht mehr an ihn … und als sie eines Tages in Paris unter dem Arc de Triomphe hindurchgegangen waren, hatte sie ihm das Grab des Unbekannten Soldaten gezeigt

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