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Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Titel: Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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räumen.
    »Genug herumgesessen«, brummte sie, »ich habe noch viel zu erledigen … Danke für das Frühstück, es war köstlich …«
    Jetzt ließ er die Feigen hin und her rollen. Mit seinen langen Fingern über den Holztisch. Ohne Hast. Langsam, gleichmäßig.
    Als hätte er alle Zeit der Welt.
    Als hätte er alle Zeit der Welt, um die Frage zu stellen, die ihn beschäftigte, die Frage, von der er wusste, dass er sie nicht stellen durfte, weil dann die Frau ihm gegenüber, diese Frau, die er zärtlich liebte, mit der er schon so lange ein Team bildete, mit der er so viele Drachen und Schlangen besiegt hatte, die Frau, die er um keinen Preis kränken oder verletzen wollte … weil diese Frau dann gekränkt und verletzt wäre. Seinetwegen. Weil er eine alte Wunde wieder aufriss.
    Er musste es wissen.
    Er musste sich mit diesem anderen messen. Mit diesem Unbekannten.
    Sonst würde er niemals ein Ganzes sein.
    Er würde immer nur eine Hälfte bleiben.
    Ein halber Mann.
    Sie stand über den Geschirrspüler gebeugt und räumte die Gabeln, die Löffel, die Messer in den Besteckkorb, als die Frage sie traf wie ein Schlag in den Nacken.
    Feige.
    »Maman, wer ist mein Vater?«
    Wir neigen oft dazu, zu glauben, die Vergangenheit sei vergangen. Wir würden sie niemals wiedersehen. Als wäre sie auf eine magische Tafel geschrieben, und wir hätten sie einfach weggewischt. Wir glauben, mit den Jahren hätten wir all unsere Jugendsünden, unsere bedeutungslosen Liebschaften, unsere Fehlschläge, unsere Feigheiten, unsere Lügen, unsere kleinen Arrangements und unsere Treuebrüche in der Versenkung verschwinden lassen.
    Wir sagen uns, dass wir alles gründlich weggewischt haben. Alles sorgfältig unter den Teppich gekehrt.
    Wir sagen uns, dass die Vergangenheit ihren Namen zu Recht trägt: Sie ist vergangen.
    Altmodisch, gestrig, überholt.
    Begraben.
    Wir haben eine neue Seite aufgeschlagen. Eine neue Seite, die den schönen Namen Zukunft trägt. Ein Leben, das wir für uns beanspruchen, auf das wir stolz sind, ein Leben, für das wir uns entschieden haben. Wohingegen wir in der Vergangenheit nicht immer selbst entschieden haben. Wir nahmen hin, wir wurden beeinflusst, wir wussten nicht, was wir denken sollten, wir suchten uns, wir sagten Ja, wir sagten Nein, wir sagten: Wetten, dass!, ohne zu wissen, warum. Und genau deshalb haben wir das Wort »Vergangenheit« erfunden: um alles hineinzupacken, was uns störte, uns erröten oder zittern ließ.
    Und dann, eines Tages, holt sie uns ein.
    Sie rammt die Gegenwart. Setzt sich fest. Verbreitet Gift.
    Und verdunkelt letztlich sogar die Zukunft.
    Shirley hatte geglaubt, die Vergangenheit hinter sich gelassen zu haben. Sie hatte geglaubt, sie würde nie wieder davon hören. Auch wenn sie hin und wieder noch daran dachte. Dann schüttelte sie den Kopf, kreuzte die Finger und flüsterte: Geh weg. Bleib, wo du bist. Sie wusste nicht genau, warum sie diese Worte aussprach, aber das war ihre Art, die Gefahr zu bannen. Sie zu ignorieren. Und jetzt kam sie einfach wieder. Durch den Menschen, den sie mehr liebte als alles andere auf der Welt, durch ihren Sohn.
    An diesem Tag vor dem Geschirrspüler, über das Eigelb gebeugt, das sich in Zickzacklinien über die Teller zog, wusste Shirley, dass sie sich ihrer Vergangenheit stellen musste.
    Sie würde nicht vor ihr fliehen können. Nicht diesmal. Sie war schon einmal geflohen.
    Sie hatte einen Sohn aus dieser Vergangenheit.
    Okay, sagte sie sich, während sie den weit geöffneten Geschirrspüler betrachtete, okay …
    Leugnen bringt nichts. Gary wurde nicht durch Zutun des Heiligen Geistes gezeugt. Gary hat einen Vater. Gary will wissen, wer sein Vater ist. Das ist vollkommen normal, atme tief durch, zähle bis drei und stell dich der Vergangenheit.
    Sie schaltete den Geschirrspüler ein, nahm ein Spültuch, trocknete sich die Hände ab, zählte bis drei und drehte sich zu ihrem Sohn um.
    Sah ihm in die Augen und fragte: »Was genau willst du wissen?«
    Sie hörte ihre Stimme, zu hoch, ein wenig zittrig, als wäre sie schuldig. Wieso schuldig?, rief sie sich zur Ordnung, was habe ich denn Schlimmes getan? Nichts. Also … mach nicht gleich den Rücken krumm, als hättest du ein Verbrechen begangen.
    Sie verschränkte die Arme vor der Brust, und ihr ganzer Körper richtete sich auf. Ein Meter neunundsiebzig, bereit, den Schlag abzufangen. Sie redete sich gut zu, redete sich gut zu, um nicht zuzulassen, dass die Angst ihr die Beine wegriss. Ich

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