Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
sie nicht verändern, indem man die gleichen Fehler wiederholte. Im Moment traf die aktuelle Krise noch den Finanzsektor, aber bald würde sie auch die Straße erreichen, jene Passanten, die er von seinem Fenster aus sah. Um der Welt willen mussten die Menschen ihren Blick auf sie verändern. Sie mussten das Vertrauen in eine Wirtschaft wiedergewinnen, die in ihren Diensten stand. Die dafür sorgte, dass anständige Arbeit auch anständig bezahlt wurde. Die nicht nur für einige wenige Privilegierte da war, die sich auf ihre Kosten die Taschen füllten.
Diese Krise würde sich nicht mit zweitklassiger Politik lösen lassen. Die Zeiten erforderten Mut, Großzügigkeit und Risikobereitschaft, damit die Welt wieder menschlich würde.
Aber vor allem, das wusste er, musste Vertrauen wiedergewonnen werden.
Vertrauen, seufzte er und betrachtete das Foto von Alexandre auf seinem Schreibtisch.
Wir alle verspüren das Bedürfnis zu glauben, zu vertrauen, zu wissen, dass wir einem Vorhaben, einer Firma, einem Mann oder einer Frau unser ganzes Herz schenken können. Dann fühlen wir uns stark. Wir schlagen uns auf die Brust und nehmen es mit der ganzen Welt auf.
Aber wenn wir zweifeln …
Wenn wir zweifeln, haben wir Angst. Wir zögern, wir schwanken, wir stolpern.
Wenn wir zweifeln, wissen wir überhaupt nichts mehr. Alle Gewissheiten sind dahin.
Unversehens kommt es zu Notfällen, die gar keine Notfälle hätten sein sollen.
Fragen, die man sich niemals gestellt hätte und die man sich jetzt doch stellt.
Fragen, die plötzlich die Grundfesten unserer Existenz erschüttern.
Liebe ich Kunst oder spekuliere ich nur?, hatte er sich an diesem Morgen beim Rasieren gefragt, nachdem er im Radio gehört hatte, dass der einzige nennenswerte Rekord der letzten Auktionen in London die Zahl der unverkauften Kunstwerke gewesen war.
Er sammelte, seit er ein kleiner Junge gewesen war. Er hatte mit Briefmarken, Streichholzschachteln und Postkarten angefangen. Und dann hatte er eines Tages mit seinen Eltern eine Kirche in Rom besucht.
San Luigi dei Francesi.
Die Kirche war klein, dunkel, kalt. Die Kanten der Eingangsstufen waren abgestoßen, manche Steine hatten sich gelöst. Ein Bettler saß am Rand der Treppe und streckte eine ausgemergelte Hand aus.
Er hatte die Hand seiner Mutter losgelassen und war auf Zehenspitzen hineingegangen.
Als spürte er, dass ihn eine wunderbare Begegnung erwartete …
Dass er dazu allein sein musste.
In einer kleinen Kapelle auf der linken Seite hatte er ein Gemälde entdeckt. Er war näher herangegangen, und plötzlich hatte er nicht mehr gewusst, ob er in das Gemälde eindrang oder ob das Gemälde in seinen Kopf eindrang. Traum oder Wirklichkeit? Mit angehaltenem Atem war er wie angewurzelt stehen geblieben und hatte sich in die Schatten und die Farben dieser Berufung des heiligen Matthäus vertieft. Erschüttert von dem Licht, das aus dem Gemälde hervorsprang. Glücklich, so glücklich, dass er keinen Schritt zu gehen wagte, aus Angst, den Bann zu brechen.
Er wollte nicht mehr fort.
Nie wieder aus diesem Bild herauskommen.
Er streckte die Hand aus, um das Gesicht jeder einzelnen Figur zu streicheln, hob den Finger und hielt ihn in den Lichtstrahl, setzte sich auf den Hocker und schob sein Schwert auf die Seite, genau wie der Mann, der ihm den Rücken zuwandte.
Er hatte gefragt, ob er es kaufen könne. Sein Vater hatte gelacht. Irgendwann vielleicht … wenn du sehr reich wirst!
War er reich geworden, um die Ergriffenheit des kleinen Jungen angesichts eines Gemäldes in einer dunklen römischen Kirche wiederzufinden? Oder war er reich geworden und hatte darüber die Reinheit dieser ersten Gefühlsregungen vergessen und nur noch den Profit im Sinn gehabt?
»Madame Clavert ist wieder dran«, informierte ihn Gwendoline. »Auf Leitung eins … Und hier ist die Liste mit Ihren nächsten Terminen.«
Sie reichte ihm ein Blatt Papier, das er auf den Schreibtisch legte.
Er hob ab und fragte höflich: »Ja, Bérengère …?«
»Weißt du, Philippe, vielleicht solltest du diese Tagebücher doch lesen. Immerhin betreffen sie ja dich. Dich und jemanden, der dir sehr am Herzen liegt …«
»Wen meinst du?«
»Joséphine Cortès. Deine Schwägerin.«
»Was hat Joséphine denn damit zu tun?«
»Iris erwähnt sie gelegentlich, und das nicht nur beiläufig …«
»Kein Wunder, sie waren Schwestern!«
Warum rede ich überhaupt mit ihr? Diese Frau ist böse, diese Frau ist neidisch, diese Frau
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