Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
außen hin Ruhe bewahren!«
»Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit, Alter. Wer nicht herumfuchtelt, stürzt ab … Die suchen alle nach einer falschen Formulierung im Vertrag, um nur ja nicht unterschreiben zu müssen, sich nicht festlegen zu müssen, und das Ende vom Lied ist: Hier steht alles still. So eine Scheiße, sag ich dir, so eine Scheiße! Das Handelsgericht wird überschwemmt mit Insolvenzen, und das ist nur der Anfang. Das wird alles noch viel schlimmer!«
»Wir machen solide Geschäfte, wir bleiben ruhig, wir lassen das Gewitter vorüberziehen, und danach investieren wir wieder …«
»Gerichtsschreiberjobs vielleicht, aber doch keine Geschäfte, die wirklich Geld bringen! Ich will weiter einträgliche Mandate betreuen, ich hab keine Lust, überall Löcher zu stopfen und hier und da ein paar Euro zusammenzukratzen, ich will das ganz große Los!«
»Die Zeit der großen Lose ist vorbei …«
»Sitzung nächste Woche in Paris! Bis dahin schicken wir die Leute in Kurzarbeit. Wann kannst du kommen? Mein Terminkalender!«, brüllte er seiner Sekretärin zu. »Bringen Sie mir meinen Terminkalender …«
Sie einigten sich auf ein Datum, und der Lurch legte mit einem gebrüllten »Und lass dir gefälligst etwas einfallen! Dafür wirst du schließlich bezahlt!« auf.
»Ich werde nicht bezahlt, Raoul. Ich bin nicht dein Angestellter, vergiss das nicht!«
Verärgert hängte Philippe ein. Was für eine Kakerlake. Ein widerliches Insekt, das er am liebsten mit dem Absatz zertreten hätte. Natürlich würde alles zusammenbrechen … aber es würde auch wieder aufwärtsgehen, und dann würden sie zu niedrigen Kursen Aktien kaufen, mit denen sie dann noch mehr Geld verdienen würden.
Oder er würde nicht kaufen.
Er würde alles so lassen, wie es war. In diesem erbärmlichen Zustand.
Er würde fortgehen.
In letzter Zeit fühlte er sich immer häufiger angewidert.
Von der Gier der Menschen, ihrem fehlenden Mut, ihrem Mangel an Visionen. Ein Kunsthändler in Los Angeles hatte ihm erzählt, dass die Broker mittlerweile auf fallende Kurse wetteten. Je tiefer die Börsenkurse abstürzten, desto mehr verdienten sie. Und wenn die Kurse wieder steigen?, hatte Philippe gefragt. So schnell werden sie nicht steigen, die Leute hier glauben eher, dass alles den Bach runtergehen wird, zumindest bereiten sie sich darauf vor.
Die Zeiten würden sich ändern, und das missfiel ihm nicht. Die Welt quoll über von schmutzigen Leidenschaften. Gelblicher Schaum auf einem einstmals schillernden Gefühl.
Er verspürte den Drang, sich seiner Besitztümer zu entledigen.
Nachdem er an diesem Morgen aufgestanden war, hatte er seine Kleiderschränke geleert und Annie gebeten, alles zum Roten Kreuz zu bringen. Beim Gedanken, diese grauen Anzüge, diese weißen Hemden, diese gestreiften Krawatten nicht länger in seinen Schränken zu sehen, hatte er eine seltsame Freude verspürt.
Ich habe die Uniform abgestreift, hatte er gedacht, während er den Kleiderhaufen zu seinen Füßen betrachtete.
Als Philippe Dupin beschlossen hatte, sich aus seinen Geschäften zurückzuziehen, nach London zu ziehen und dort das Leben eines reichen Müßiggängers und Kunstsammlers zu führen, hatte der Zustand der Weltwirtschaft noch keinen Anlass zur Besorgnis gegeben. Natürlich hatte es schon Finanzskandale gegeben, Einzelkämpfer, die betrügerische Geschäfte tätigten, aber die Weltwirtschaft an sich schien nicht bedroht.
Mittlerweile hatte die berühmte Marke Woolworth Insolvenz angemeldet und würde schließen. Mehr als achthundert Geschäfte und dreißigtausend Angestellte waren betroffen. In der City waren beängstigende Gerüchte in Umlauf: Gewinnwarnungen bei Marks & Spencer, Debenhams, Home Retail Group und Next, Insolvenzanträge eines Dutzends sogenannter mittlerer Unternehmen – zwischen hundert und zweihundertfünfzig Ladengeschäfte –, die Schließung von vierhundertvierzig Firmen bis zum Ende des Jahres und zweihunderttausend zusätzliche Arbeitslose. Selbst die Hersteller von Luxusartikeln blieben nicht verschont. Entlassungen bei Chanel und Mulberry. Die schlechten Nachrichten rissen nicht ab. Arbeitslosigkeit, Kreditklemme, Anstieg der Lebensmittelpreise und der Preise im öffentlichen Nahverkehr, Kurssturz des Pfunds. Die Worte klangen wie die langsamen Schritte der Sargträger, die die Weltwirtschaft zu Grabe trugen.
Diese Krise schien ernst zu sein. Die Welt würde sich verändern.
Sie musste sich verändern.
Und man würde
Weitere Kostenlose Bücher