Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
diese apfelgrüne Lacklederhandtasche! Wie albern, Hortense!
Sie hätte das Kinn gereckt und etwas gesagt wie, meine Güte, das ist der neueste Lanvin-Look! Ich will als wunderschöne Frau aus dem Flieger steigen! Und er hätte gelacht, er hätte sie in die Arme geschlossen, der Hut wäre ihr vom Kopf geflogen, und sie hätten sich in der Warteschlange im Kreis gedreht, inmitten der Leute, die vor sich hin schimpften, weil sie zu spät kam und sich nicht einmal entschuldigte.
Doch sie war nicht in letzter Minute angekommen, mit einem Strohhut mitten im Winter und auf hohen rosa Absätzen.
Er hielt ihr Ticket in der Hand …
Er hatte es zusammengefaltet und in die Jackentasche gesteckt, und als er in seine kleine Wohnung in der 74th Street eingezogen war, hatte er als Allererstes das Ticket an die Küchenwand geklebt, um sich jeden Morgen beim Kaffeetrinken daran zu erinnern, dass sie nicht gekommen war …
Sie hatte es vorgezogen, in London zu bleiben.
If I can make it there, I’ll make it anywhere …
Die ersten Tage waren hart gewesen.
Es war noch Winter. An jeder Straßenecke brannte der eisige Wind auf seinen Wangen, es regnete ununterbrochen, und oft genug geriet er in Schneeböen, die ihn in seiner schwarzen Jacke und seinem grauen T-Shirt zitternd an der Bürgersteigkante zurückließen. Die gelben Taxis spritzten ihn nass, die dick eingemummelten Passanten rempelten ihn an, der Busfahrer ließ ihn nicht mitfahren, weil er weder eine MetroCard noch Kleingeld hatte, er wurde zurück auf den Bürgersteig geschubst, seine Füße in den dünnen Lederschuhen waren nass, er schlug den Kragen seiner Jacke hoch, fröstelte und fragte sich, wie New York funktionierte, ob es in dieser Stadt überhaupt menschliche Wesen gab und warum sie ihn nicht wollte.
Er war losgezogen und hatte sich dicke Schuhe, einen Parka und eine Schapka mit Ohrenklappen gekauft, die er unter dem Kinn zusammenband, wenn der Sturm pfiff. Mit seiner großen roten Nase sah er aus wie ein Clown, aber das war ihm egal. Das Klima war alles andere als gemäßigt in dieser Stadt, und manchmal vermisste er den wohlerzogenen Londoner Nieselregen.
Alles hier war größer.
Größer, stärker, rauer, wilder und so viel aufregender …
Der Leiter der Abteilung Musik, der sie empfangen hatte, um ihnen zum Bestehen der Aufnahmeprüfung zu gratulieren, hatte sie gewarnt: Die Studenten der Juilliard School müssen außergewöhnlich sein. Sie, meine Herrschaften, müssen beharrlich sein, fleißig, ausdauernd und kreativ. Sie werden sehr schnell erkennen, dass dieses Studium härter ist als alles, was Sie sich vorgestellt haben, und statt sich vor Angst zu verkriechen, werden Sie sich doppelt so viel Mühe geben und doppelt so hart arbeiten müssen. In New York gibt es immer jemanden, der ein bisschen früher aufgestanden ist als Sie, jemanden, der abends noch länger gearbeitet hat, jemanden, der etwas komponiert hat, worauf Sie nicht gekommen sind, und genau dieser Mensch ist es, den Sie auf der Ziellinie abfangen müssen. Um immer der Beste zu sein. Auf der Juilliard School genügt es nicht, Musik zu denken, man muss die Musik sein, sie mit Leidenschaft leben, und wenn Sie sich nicht dazu in der Lage fühlen, permanent über sich hinauszuwachsen, ohne sich je zu beklagen, dann überlassen Sie Ihren Platz einem anderen.
Er war in sein kleines Hotelzimmer im Amsterdam Inn in der Nähe des Lincoln Center zurückgekehrt und hatte sich vollständig angezogen aufs Bett gelegt.
Das würde er niemals schaffen …
Er würde nach London zurückkehren. Dort kannte er sich aus, dort hatte er seine Freunde, seine Mutter, seine Großmutter, er würde wieder Klavierunterricht nehmen, es gab dort sehr gute Schulen, wozu musste er unbedingt seine Wurzeln kappen und in diese Stadt voller Irrer kommen, die niemals schlief?
Mit Hortenses Flugticket in der Hand war er eingeschlafen, er würde es umtauschen und nach London zurückfliegen.
Am nächsten Tag machte er sich auf die Suche nach einer Wohnung. Er wollte kein Tourist mehr sein, er wollte ein Teil der Stadt werden. Und dazu brauchte er eine Adresse, seinen Namen auf dem Klingelschild, einen Gaszähler, einen Stromzähler, einen vollen Kühlschrank, Freunde und einen Eintrag in den Yellow Pages . Und eine MetroCard . Nie wieder würde er aus dem Bus geworfen werden! Er lernte die Strecken aller Linien auswendig. Uptown, Downtown, East, West, Crosstown. Er machte sich auch mit den U-Bahn-Linien vertraut, A, B,
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