Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
herum.
Und dann, eines Tages, er ist neun Jahre alt, kommt er gegen fünf Uhr aus der Schule nach Hause, öffnet die Haustür und ruft nach seiner Mutter, wie er es jeden Tag tut. Er ruft, aber seine Mutter antwortet nicht. Das sieht ihr nicht ähnlich. Sie ist immer da, wenn er aus der Schule kommt. Er sucht sie im ganzen Haus und findet sie nicht. Sie ist verschwunden. Dabei hat sie morgens, als er gegangen ist, kein Wort davon gesagt. Auch tags zuvor nicht. Es stimmt schon, dass sie ein bisschen wunderlich geworden ist … Sie wäscht sich ständig die Hände, schließt sämtliche Türen ab, versteckt Essen hinter den Vorhängen, fragt, wo sind denn bloß meine Ballettschuhe geblieben?, obwohl er sie niemals hat tanzen sehen. Sie sitzt stundenlang reglos vor dem Kohlenofen und starrt in die Glut. Aber an diesem Morgen hat sie ihm einen Kuss gegeben, als er gegangen ist, und hat gesagt: Bis heute Abend.
Zwei seiner Cousins, die bei ihnen wohnen, kommen die Treppe heruntergestürmt. Er fragt sie, ob sie wissen, wo seine Mutter ist, und sie antworten, sie sei gestorben. Sie habe einen Herzinfarkt gehabt, und man habe sie sofort beerdigt. Und dann kommt sein Vater und sagt, seine Mutter sei ans Meer gefahren, um sich auszuruhen. Sie sei müde gewesen. Aber sie werde bald wieder zurückkommen.
Und er steht da am Fuß der Treppe und versucht zu begreifen, was man ihm sagt. Er weiß nicht, ob es wahr ist oder nicht. Er weiß nur, dass sie nicht mehr da ist.
Das Leben geht weiter, und darüber wird nicht mehr gesprochen.
›Plötzlich war da eine Leere in mir. Eine schreckliche Leere … von diesem Moment an war ich ständig traurig. Niemand hat sie mir gegenüber je wieder erwähnt. Und ich habe nicht nach Erklärungen gefragt. Es war einfach so. Sie war fort … Ich habe mich daran gewöhnt, dass sie nicht mehr da war. Ich habe mir gesagt, dass sie meinetwegen gegangen sei, und ich habe mich schuldig gefühlt. Ich weiß nicht, wieso, aber ich fühlte mich schuldig. Schuldig und verlassen.‹
Sein Vater war ebenfalls verschwunden. Er war in eine andere Stadt gezogen und lebte dort mit einer anderen Frau zusammen. Er hatte ihn seiner Großmutter anvertraut. Sie trank, schlug ihn und fesselte ihn an einen Heizkörper, wenn sie zum Trinken in den Pub ging. Er ist nie wieder zur Schule gegangen. Er trieb sich auf der Straße herum, klaute und machte allerhand Dummheiten. Und mit vierzehn Jahren schloss er sich der Akrobatentruppe von Mr. Pender an. Er hat sich eine neue Familie gesucht. Er lernte Sprünge zu vollführen, Kapriolen zu schlagen, sich zu verrenken, Grimassen zu schneiden, auf den Händen zu laufen und seinen Hut herumzureichen, um ein paar Pennys zu verdienen. Er reiste mit der Truppe nach Amerika, absolvierte eine Tournee, und als die anderen wieder nach England zurückkehrten, blieb er in New York.
Und dann, eines Tages, fast zwanzig Jahre später, als er bereits ein großer Star war, da bekam er einen Brief von einem Anwalt, der ihm mitteilte, dass sein Vater gestorben sei und seine Mutter in einer Irrenanstalt in der Nähe von Bristol lebte.
Das war wie ein Schlag in die Magengrube, hat er mir gesagt. Die Welt um ihn herum war zusammengebrochen.
Er war dreißig Jahre alt. Wenn er das Haus verließ, folgten ihm hundert Fotografen und hundert Journalisten. Er trug elegante Anzüge und Hemden, auf deren Brusttasche seine Initialen eingestickt waren, und spielte in erfolgreichen Filmen.
›Die ganze Welt kannte mich, nur meine Mutter nicht.‹
Sein Vater hatte seine Mutter in eine Irrenanstalt sperren lassen. Elias hatte eine andere Frau kennengelernt, er wollte mit ihr zusammenleben, aber er wollte keine teure Scheidung bezahlen. Also hatte er seine Frau verschwinden lassen. Mit einem Trick. Und niemand hat je nach ihr gefragt!
Er hat mir von dem Wiedersehen mit seiner Mutter erzählt. In dem kleinen, ärmlichen, leeren Zimmer in der Anstalt. Er hat mir nicht nur davon erzählt, er hat die Szene nachgespielt, er hat sie wieder aufs Neue durchlebt. Er imitierte beide Stimmen, die seiner Mutter und seine eigene.
›Ich bin auf sie zugestürzt, ich wollte sie in die Arme nehmen, doch sie hat ihren Ellbogen gehoben, um mich abzuwehren …
Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?, hat sie gerufen.
Mama, ich bin es! Archie!
Sie sind nicht mein Sohn, Sie sehen ihm nicht ähnlich, Sie haben nicht seine Stimme!
Doch, ich bin es, Mama, ich bin es! Ich bin nur erwachsen geworden!
Er berührte seine Brust,
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