Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
Secondhand-Artikel.
Der Mann hinter der Theke trug ein schwarzes T-Shirt mit einem zähnefletschenden Wolfskopf darauf. Er ließ sich Zeit und musterte die Frau vor ihm; sein Blick glitt langsam über ihre Handtasche, ihre Uhr, die kleinen Brillantstecker an ihren Ohren, die Lederjacke, dann verkündete er: »Fünfzehn Pfund.«
»Fünfzehn Pfund für einen Adapter!«, rief Shirley.
»Fünfzehn Pfund«, wiederholte er.
Nicht das leiseste Funkeln glomm in seinem Blick. Er besaß einen Adapter, er bestimmte den Preis, wenn ihr das nicht passte, konnte sie ja wieder gehen. Shirley bemerkte den Kugelbauch, der sich unter seinem eng anliegenden Wolfskopf-T-Shirt wölbte. Es sah aus, als wäre er mit einem Bierfass schwanger.
»Haben Sie einen Katalog, damit ich den Preis überprüfen kann?«
»Fünfzehn Pfund …«
»Holen Sie mir Ihren Chef!«
»Ich bin der Chef …«
»Ein Betrüger sind Sie!«
»Fünfzehn Pfund …«
Shirley nahm den Adapter in die Hand, ließ ihn ein paarmal hochhüpfen, legte ihn zurück auf den Tresen und drehte sich auf dem Absatz um.
»Vergessen Sie’s, Arschloch!«
Fünfzehn Pfund!, schäumte sie, als sie die Regent Street hinabging.
Fünfzehn Pfund, nachdem er mich von Kopf bis Fuß gemustert und sich gedacht hat, die nehm ich jetzt mal aus! Für wen hält der mich? Für eine geistig verwirrte Touristin, die ihren Föhn oder ihren Laptop einstecken will? Ich bin Engländerin, ich lebe in London, ich kenne die Preise, und der Typ kann mich mal! Ich brauche einen Adapter, um den Lockenstab anzuschließen, den mir meine französische Freundin zu Weihnachten geschenkt hat! Mein Lockenstab kostet dreißig Euro, der braucht keinen Adapter für fünfzehn Pfund! Sie machte große Schritten und hätte am liebsten sämtliche Männer geohrfeigt, die, so schien es ihr, mit der Arroganz allmächtiger Machos herumstolzierten. Sie verabscheute Allmacht. Sie verabscheute Befehle, die wie Erlasse auf den Kopf des wehrlosen Leibeigenen niederprasselten.
Dieser Mann hatte sie behandelt wie eine wehrlose Leibeigene.
Ihr Zorn kochte hoch, wurde zur glühenden Lava, drohte den Krater explodieren zu lassen und alles auf seinem Weg mitzureißen.
Der Vulkan ihres Zorns war an diesem Morgen erwacht …
Sie hatte im Büro ihrer Stiftung »Fight the fat« vorbeigeschaut und einen Bericht gelesen, der anhand von Zahlen nachwies, dass manche Babynahrung mehr Zucker, Fett und Salz enthielt als der Fraß, den man Erwachsenen vorsetzte. Man stopfte schon die Säuglinge voll, damit sie später klaglos all die Schweinereien aßen, die man ihnen geben würde.
Sie war in Verwünschungen ausgebrochen. Hatte rotgesehen. Knallrot. Gleißendes, blendendes Rot.
»Was unternehmen wir dagegen?«, hatte sie Betty, ihre Sekretärin und Assistentin, angeschrien.
»Wir machen eine Liste mit diesen Produkten, stellen sie auf unsere Webseite und verlinken sie mit allen anderen Verbraucherseiten«, hatte Betty geantwortet, die stets die Ruhe bewahrte und häufig Lösungen fand. »Die Information wird sich verbreiten. Man wird mit dem Finger auf sie zeigen, und sie kommen auf den Index.«
»Was für Dreckskerle! Was für miese Dreckskerle!«, schimpfte Shirley und raufte sich die Haare. »Die sind doch kriminell! Sie holen sich ihre Opfer schon in der Wiege! Und danach wundert man sich, dass die Zahl der Fettleibigen unaufhörlich steigt. Man sollte sie zwingen, ihren Dreck selbst zu fressen! Ich bin mir sicher, dass ihre Kinder diese kleinen Gläschen nicht zu essen bekommen!«
Sie musste sich beruhigen.
Sie durfte nicht zulassen, dass der Zorn sie zerfetzte.
Denn Zorn zerfetzt einen. Er zerstört nicht nur den Menschen, gegen den er sich richtet, sondern auch den, der ihn in sich trägt. Das wusste sie. Sie hatte es oft genug am eigenen Leib erlebt.
Sie wollte lernen, sich zu beherrschen. Sich von ihrem Zorn abzulenken, ihn auf eine Beschäftigung umzuleiten, die sie beruhigte.
Da war ihr der Lockenstab eingefallen … Sie hatte ihn an diesem Morgen wiedergefunden, als sie die Regale im Badezimmer aufgeräumt hatte. Noch völlig unbenutzt in seiner Geschenkpackung. Und Joséphines Karte: »Für meine schöne Freundin mit dem kurzen, manchmal lockigen Haar.«
Ich gehe jetzt runter und kaufe einen Adapter, ich konzentriere mich auf mein Haar, und ich relativiere.
Der Mann im Wolfskopf-T-Shirt hatte ihr den Rest gegeben. Sie zitterte vor Wut, sie wankte, am liebsten hätte sie geweint. Sie fand ihren Platz in dieser
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