Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
sei …
Sie musste mit ihrer Mutter darüber reden.
Die Antwort lautete Nein.
Ein kategorisches Nein.
Ein Nein, wie Zoé es aus dem Mund ihrer Mutter noch nie gehört hatte.
»Das kommt nicht infrage, Zoé.«
»Aber die Wohnung ist zu groß für uns zwei …«
»Ich sagte Nein«, wiederholte Joséphine.
»Aber bei Madame Barthillet und Max hast du doch auch Ja gesagt …«
»Das ist lange her … Ich habe mich verändert.«
»Du bist egoistisch geworden!«
»Nein. Hör mir gut zu, Zoé … In meinem Kopf wächst ein Buch heran. Der Wunsch zu schreiben wird mit jedem Tag stärker, und ich brauche Platz, Ruhe, Leere, Einsamkeit …«
»Sie werden doch keinen Platz wegnehmen! Sie werden sich ganz klein machen. Seine Mutter will arbeiten, und er geht mit mir zur Schule … Bitte, Maman, sag doch Ja …«
»Nein, nein und nochmals nein … diese Zeiten sind vorbei!«
»Wo sollen sie denn hin?«, fragte Zoé, kurz davon, in Tränen auszubrechen.
»Ich weiß es nicht, und das ist auch nicht mein Problem. Dieses Buch will ich nicht opfern … Das ist wichtig für mich, Liebes. Sehr wichtig … Verstehst du das?«
Zoé schüttelte den Kopf. Sie verstand es nicht.
»Du kannst doch trotzdem schreiben …«
»Zoé … Du weißt nicht, wie das ist. Du weißt nicht, was ›schreiben‹ bedeutet. Das bedeutet, seine ganze Kraft, seine ganze Zeit, seine ganze Aufmerksamkeit auf eine einzige Sache zu richten. Die ganze Zeit nur an das eine zu denken. Sich nicht ablenken zu lassen, nicht eine Sekunde lang … Es bedeutet nicht, eine Inspiration zu haben und ein paar Notizen aufs Papier zu werfen, es bedeutet Arbeit, Arbeit, Arbeit, Ideen säen, warten, bis sie wachsen, und sie erst ernten, wenn sie reif sind. Nicht vorher, sonst reißt du die Wurzel mit heraus, und auch nicht zu spät, sonst sind sie verwelkt. Es bedeutet, wachsam zu sein, besessen, manisch … Unerträglich für seine Mitmenschen.«
»Und was ist mit mir?«
»Du bist Teil dieses Abenteuers. Aber sonst niemand, Zoé, sonst niemand …«
»Dann muss man also allein leben, wenn man schreibt, ganz allein …«
»Idealerweise sollte man das, natürlich. Aber ich habe dich, ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt, diese Liebe erfüllt mich mit Freude, mit Kraft, diese Liebe ist ein Teil von mir. Mit dir kann ich reden, du hörst mir zu, du verstehst mich … Aber sonst niemand, Zoé, sonst niemand …«
»Dann willst du die Geschichte vom Kleinen Mann also wirklich aufschreiben?«, fragte Zoé und ließ den Kopf hängen. Sie streckte die Waffen.
Joséphine nahm sie in die Arme und flüsterte: Ja, ich werde sie aufschreiben, ich werde sie aufschreiben.
»Und weißt du jetzt, wer der Kleine Mann ist?«, fragte Zoé weiter, das Kinn auf die Schulter ihrer Mutter gelegt.
Und Joséphine flüsterte erneut ja: Ich weiß es.
Sie würde zu ihm gehen, sie würde mit ihm reden, sie würde ihn um die Erlaubnis bitten, seine Geschichte zu erzählen. Sie würde ihm erklären, wie sie dank Cary Grant und dem schwarzen Tagebuch aus dem Nebel herausgefunden hatte, sie würde ihm von den stürmischen Wogen des Atlantiks erzählen, von Henriette und Lucien Plissonnier, dem Picknickkorb am Strand, Iris, dem Sonnenschirm, dem Drang zu wachsen, dem Drang, jemand anders zu werden, jemand, der mit beiden Beinen im Leben steht, der seinen Platz hinter dem Nebel gefunden hat.
Und dann würde sie Serrurier anrufen und ihm sagen …
Dass sie eine Idee habe, mehr noch als eine Idee …
Den Beginn eines Buchs. Ein ganzes Buch, das sich in ihrem Kopf zusammenfügte. Das sich Stück für Stück zusammensetzte.
Sie hatte auch schon den ersten Satz.
Doch den würde sie ihm nicht verraten.
Sie würde ihn für sich behalten. Damit die Worte ihre ganze Kraft behielten, damit sie ihr nicht zwischen den Fingern zerrannen.
»Mit jedermanns Worten schreiben wie niemand sonst.« 9
9 Colette.
Die Worte, die man schreiben will, darf man nicht aussprechen, sie müssen unverbraucht bleiben. Wenn man sie liest, muss man das Gefühl haben, dass sie zum ersten Mal verwendet werden, dass niemand je zuvor die Worte auf diese Weise zu Papier gebracht hat …
Fünfter Teil
S hirley legte den Adapter auf die Theke und erkundigte sich nach dem Preis.
Es war der letzte, der noch am Ständer gehangen hatte, und er trug weder ein Preisschild noch einen Strichcode. Die Verpackung sah abgenutzt aus, sie war an den Ecken angestoßen. Man hätte meinen können, ein
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